Worum geht es?
Der Nationale Aktionsplan sieht vor, BNE im Rahmen kommunaler und regionaler Bildungslandschaften zu berücksichtigen und zu integrieren. Beim Aufbau bzw. Ausbau der kommunalen BNE-Bildungslandschaft liegt einer der Schwerpunkte auf der Gründung von Netzwerken, die Bildungsbereiche und Bildungsträgerbereiche übergreifend agieren (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017; Deutsche UNESCO-Kommission e.V. 2014). In der Literatur werden neben einer bereichsübergreifenden, themenbezogenen Zusammenarbeit verschiedener Ämter und Fachbereiche (z.B. in Form eines Arbeitskreises, einer Stabsstelle etc.) ebenso eine Bündelung von Ressourcen, Erfahrungen und Kompetenzen verschiedener Akteurinnen und Akteure (vor allem aus der Zivilgesellschaft) als wesentliche Merkmale für eine gelingende Netzwerkarbeit betrachtet (Grapentin-Rimek 2019b; Deutscher Bundestag 2017). Auch die Herstellung von Verbindlichkeiten (z.B. feste Ansprechpartner:innen), von Regelmäßigkeit und Gleichberechtigung zwischen Akteurinnen und Akteuren werden als wesentliche Merkmale dafür genannt (Jossin/Hollbach-Grömig 2020; Grapentin-Rimek 2019a). Darüber hinaus fördert die Akteursvielfalt in den BNE-Netzwerken auch die Verbreitung und Legitimation von BNE (Singer-Brodowski/Etzkorn/Grapentin-Rimek 2019; Fischbach/Kolleck/de Haan 2015).
Vor diesem Hintergrund stellt sich im Rahmen der qualitativen Teilstudie die folgende Frage:
- Gibt es erkennbare Muster bei der Entwicklung von BNE-Netzwerken?
Um dies zu beantworten, wurden Expertinnen und Experten in Interviews nach ihrer Zusammenarbeit und insbesondere nach ihrer Teilnahme an Veranstaltungen oder Gesprächsrunden im Prozess der strukturellen Verankerung von BNE in der Kommune gefragt.
Die Datengrundlage bilden 53 leitfadengestützte Interviews in 15 vom BNE-Kompetenzzentrum begleiteten Kommunen, die im Zeitraum von Juni bis Dezember 2021 mit Expertinnen und Experten aus Kommunalverwaltung und -politik, Zivilgesellschaft sowie Einrichtungen der formalen und non-formalen Bildung durchgeführt wurden.
Ergebnisse
In einer querschnittlichen Analyse auf Akteursebene wurde ermittelt, wie verwaltungsexterne Akteurinnen und Akteure in den BNE-Prozess eingebunden sind. Im Kontext der kommunalen Netzwerkarbeit deuten sich drei Entwicklungsphasen an, die im Folgenden beschrieben werden. Dieses Phasenmodell kann unter anderem dazu dienen, Kommunen eine Orientierung bei der Einordnung der eigenen BNE-Anstrengungen und Anregungen zur Selbstreflexion zu geben.
Frühphase
In der Frühphase steht die Etablierung von Kooperations- und Vernetzungsstrukturen im Bereich BNE in den Kommunalverwaltungen mit nicht-kommunalen Akteurinnen und Akteuren oft noch als ein wichtiger Handlungsschritt bevor. In dieser Phase wird das BNE-Thema häufig im Rahmen kommunaler Strukturen und Netzwerke neben ihren eigenen Themenschwerpunkten mitentwickelt und bearbeitet. Diese bereits vorhandenen Netzwerke entwickelten sich im Kontext diverser Förderprogramme im Nachhaltigkeits- und Bildungsbereich. Laut einiger Akteurinnen und Akteure aus der Kommunalverwaltung ist die interne Struktur für den BNE-Prozess in ihren Kommunen im Wesentlichen aus dem Projekt „Lernen vor Ort“ hervorgegangen. Das hier aufgebaute kommunale Bildungsmanagement, das Bildung als ein Querschnittsthema versteht und behandelt, bietet einen guten Zugang zu BNE:
„Und das Gute ist, […], dass wir ja jetzt durch das DKBM (Datenbasiertes Kommunales Bildungsmanagement) schon gute Strukturen aufbauen konnten […] wir wissen jetzt, wie wir Netzwerke aufbauen […].“
Vertreter:in der Kommunalverwaltung, 2021
Ebenso können die Strukturen der Prozesse zur nachhaltigen Entwicklung (NE) aus der Sicht der Expertinnen und Experten gut für den kommunalen BNE-Prozess nachgenutzt werden:
„[D]er Nachhaltigkeitsprozess ist sozusagen der Aktionsraum, das organisatorische Gerüst dafür, dass man ein solches Anliegen wie Bildung für Nachhaltige Entwicklung […] verbreiten, gut nutzen kann. […], dass man da den organisatorischen Rahmen dafür hat, die Partner zu suchen und zusammenzubringen und neue Impulse zu verbreiten.“
Vertreter:in der Zivilgesellschaft, 2021
Die finanzielle Absicherung der kommunalen Zusammenarbeit stützt sich in dieser Phase auf bereits vorhandene Ressourcen, wie z.B. das bestehende Personal.
Die thematische Schwerpunktsetzung bereits vorhandener Angebote ist eher monothematisch ausgerichtet und adressiert primär Umweltbildung, wie etwa Grüne Lernorte, Mobilität, Müllvermeidung, Energie und Ressourcen usw.
Konstituierende Sitzungen im BNE-Bereich sind in der Regel verwaltungsintern dominiert, um für sich zunächst Klarheit im BNE-Themenfeld zu verschaffen. Es soll jedoch eine aktive Einbeziehung einer erweiterten Bildungslandschaft zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.
Die Kooperation zwischen Kommunalverwaltung und Externen findet eher innerhalb eines für die Kommunalverwaltung zentralen Akteursraums[1] statt (Vgl. Wie die Akteursgruppen in der Kommune zusammenarbeiten). Die Zusammenarbeit gestaltet sich hier laut Aussage der Expertinnen und Experten eher hierarchisch und die stattfindenden Prozesse sind oft nicht transparent genug gestaltet.
Der Netzwerk-Steuerungsmodus beschränkt sich in dieser Phase eher auf Top-Down-Ansätze: Die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich BNE liegt bei der Kommune bzw. der Kommunalverwaltung, das heißt auch, dass sie die Entscheidungen hinsichtlich der BNE-Netzwerke trifft. In dieser Phase arbeiten vor allem Kommunalverwaltung, kommunale Bildungsträger und die so genannte „verwaltungsnahe“ Zivilgesellschaft eng zusammen (Vgl. Wie die Akteursgruppen in der Kommune zusammenarbeiten).
[1] Als Akteursraum wird ein Interaktionsraum verstanden, indem Kooperationen und netzwerkartige Beziehungen bestehen.
Entwickelte Phase
Mit einem Bekenntnis der Kommune zur BNE geht in den befragten Modellkommunen unter anderem auch die Auseinandersetzung mit den folgenden Fragestellungen einher:
- Welche strategischen Ziele können hinsichtlich einer (BNE-)Zusammenarbeit aufgestellt werden?
- Wie können die bereits bestehenden Kooperationen und Vernetzungen fortgeführt werden?
Die finanzielle Absicherung von Strukturen kann durch die seitens der Kommunalverwaltung gezielt eingeworbenen Fördermittel (z.B. Bildungskommune) gewährleistet werden. Dies dient z. B. der Absicherung der Stellen der BNE-Ansprechpartner:innen in der Verwaltung. Parallel dazu begeben sich auch Projektträger (z. B. Vereine bzw. kommunale Bildungsträger) auf die Suche nach (BNE-)Fördermitteln. Auf diese Weise nimmt die Einbeziehung externer und vor allem außerschulischer Akteurinnen und Akteure zu. In den Interviews werden im Kontext diverser Projekt-Akquisen u.a. Kontakte zur Agrarwissenschaft (z.B. Essen Erleben) oder zum Bereich des nachhaltigen Bauens (z.B. Zukunftsschule) genannt, um beispielsweise später mit den Schüler:innen die Nachhaltigkeit des neuen Schulgebäudes zu eruieren.
All dies bewirkt in den befragten Kommunen eine Ausweitung von Nachhaltigkeitsthemen. Beispiele dafür sind die Ausweitung auf eine gesunde Ernährung und das Konsumverhalten im Kontext des Klimawandels, auf Armut und Hunger oder Flucht und Migration im Rahmen der Zusammenarbeit mit überregionalen Organisationen oder mit Projekten im Bereich der entwicklungspolitischen und humanitären Hilfe.
In dieser Phase sind die ersten Bestandsaufnahmen vorhandener BNE-Aktivitäten in der Kommune in der Regel bereits vollzogen. Es werden vorhandene kommunale Netzwerke bezüglich ihrer Eignung für eine (BNE-)Anknüpfung bzw. Erweiterung um BNE überprüft, um neue BNE-Formate unter Beteiligung externer Akteurinnen und Akteure, beispielsweise AGs oder Runde Tische, aufzubauen:
„Und jetzt sind wir grad dabei, alle Akteure [sic!] aus Zivilgesellschaft und aus Trägerlandschaft zu bündeln und auch mal zu einem Termin einzuladen. Da gibt es etliche, die ja schon seit vielen, vielen Jahren zu dem Thema arbeiten.“
Vertreter:in der Kommunalverwaltung, 2021
Kooperationen können in dieser entwickelten Phase eher als eine gelegentliche Zusammenarbeit (Vgl. Wie die Akteursgruppen in der Kommune zusammenarbeiten) beispielsweise zwischen den Kommunalverwaltungen und nicht kommunalen Bildungsträgern (z.B. Vereinen), regionalen Netzwerk-Bündnissen und anderen mehr beschrieben werden. Ebenso sind neu entstehende BNE-Netzwerke für neue Kooperationen z.B. mit kommunalen Einrichtungen bzw. Strukturen förderlich:
„Und ich hoffe, dass es so bleibt […]. Also ich werde auf jeden Fall zu diesen Netzwerktreffen weiterhin gehen und werde versuchen, mich mit den Leuten zu verbünden […].“
Vertreter:in einer Bildungseinrichtung, 2021
Darüber hinaus betonen Interview-Partner:innen einen aus ihre Sicht gehaltvollen Austauschbeitrag, den die in der Kommune angesiedelten Hochschulen und Forschungseinrichtungen leisten.
Der Netzwerk-Steuerungsmodus ist in dieser Phase noch überwiegend Top-Down, aber es kommt auch zu einer Anregung von Bottom-Up-Prozessen. So hängt die Bildungsarbeit in der Kommune laut einiger Vertreter:innen aus der Zivilgesellschaft (2021) „eigentlich an den Vereinen […] (oder) Kirchengemeinden“ und sie treten mitunter als aktive BNE-Prozess-Gestalter auf. So ergriff beispielsweise ein Verein die Initiative zur Gründung eines BNE-Stammtisches. Parallel ändert sich auch die Sichtweise der Verwaltung auf neue Player. Zum Beispiel unterstützt ein:e Klimaschutzmanager:in eine Bürgerinitiative durch die Öffnung eigener Netzwerke beim Aufbau einer im Nachhaltigkeitsbereich unabhängigen Mitmach-Plattform.
In der entwickelten Phase ist die Einbindung verwaltungsexterner Akteurinnen und Akteure in den BNE-Prozess als eine Herausforderung bei Kommunalverwaltungen angekommen. Die Eruierung von (BNE-)Bedarfen steht bereits auf der Tagesordnung, um dementsprechend auch Rahmenbedingungen für (BNE-)Kooperations- bzw. Vernetzungsstrukturen zu schaffen.
Fortgeschrittene Phase
Auch wenn dafür im zugrundeliegenden Erhebungszeitraum keine empirischen Beispiele identifiziert werden konnten, lässt sich vor allem aus den Äußerungen interviewter Expertinnen und Experten über ihre nächsten Schritte eine dritte Phase der Entwicklung absehen.
In dieser fortgeschrittenen Phase könnte aus Sicht der Befragten der Fortbestand der aufgebauten BNE-Netzwerke idealer Weise über eine kommunale Regelfinanzierung abgesichert werden.
Die inhaltliche Ausrichtung der Bildungsarbeit sollte ihrer Meinung nach dann neben Umwelt- und Konsumthemen, auch andere der 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, kurz: SDGs) wie z.B. soziale Gerechtigkeit, Wohnen oder Geschlechterfragen/Diversität miteinschließen.
Die Zusammenarbeit würde sich bis in den peripheren Akteursraum (Vgl. Wie die Akteursgruppen in der Kommune zusammenarbeiten) erstrecken. Die Kommunalverwaltung öffnet sich für die nicht-institutionalisierte Zivilgesellschaft wie Fridays for Future, und die Zusammenarbeit mit Partner:innen aus der Wirtschaft oder mit einer Schnittstellenfunktion als Verbindung zwischen verschiedenen Bereichen wie Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft wird zunehmen.
Kooperationen zwischen Verwaltung und Externen könnten auf Grundlage verbindlicher Vereinbarungen stattfinden.
Der Steuerungsmodus würde vermutlich einen bidirektionalen Planungsansatz verfolgen, wobei hier die Unterschiede der gegenläufigen Prozesse von Top-Down und Bottom-Up kontinuierlich koordiniert und abgestimmt würden.
Überblick: Phasen der BNE-Netzwerkbildung in Kommunen
Frühphase | entwickelte Phase | fortgeschrittene Phase |
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NETZWERKE
| NETZWERKE
| NETZWERKE
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Netzwerk-STEUERUNGSMODUS
| Netzwerk-STEUERUNGSMODUS
| Netzwerk-STEUERUNGSMODUS
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KOOPERATIONEN
| KOOPERATIONEN
| KOOPERATIONEN
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Was bedeutet das für die Praxis?
Zum Erhebungszeitpunkt bestehen in den Fallstudienkommunen vor allem (bilaterale) Kooperationen sowie netzwerkartige Beziehungen. Die vollumfängliche BNE-Netzwerkbildung ist eher eine Zukunftsoption, an der gearbeitet wird. Um die zum Erhebungszeitpunkt zumeist anlassbezogene Zusammenarbeit in eine dauerhafte Vernetzungsstruktur zu überführen, braucht es weiterhin:
- eine Absicherung von Rahmenbedingungen (z.B. Fördermittelakquise) sowie Absicherung des Netzwerkmanagements (z.B. Verstetigung der Ansprechpersonen);
- eine Erweiterung der Netzwerke bzw. Einbeziehung der bis jetzt noch nicht involvierten Akteurinnen und Akteure der kommunalen Bildungslandschaft, um zum einen unterschiedliche Perspektiven hinsichtlich der Netzwerkgestaltung zu berücksichtigen, und zum anderen, um sich inhaltlich in Bezug auf BNE breiter aufzustellen (z.B. Angebotserweiterung auf andere SDGs);
- die Verfolgung eines gemeinsamen Planungsansatzes bei Netzwerksteuerung für eine bessere Koordination und Abstimmung gegenläufiger Prozesse.
Angesichts der beschriebenen Phasen des Entwicklungsprozesses wird deutlich, wie langwierig und ressourcenbindend sich solche Verankerungsprozesse im BNE-Bereich vollziehen, wobei sie stets auch der schwer absehbaren Präsenz thematischer Konjunkturen unterliegen, die ihre Beschleunigung fördern oder behindern können (Steiner 2024).
Literatur
Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (DUK) (2014): Vom Projekt zur Struktur. Projekte, Maßnahmen und Kommunen der UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung". Bonn
Deutscher Bundestag (2017): Unterrichtung durch die Bundesregierung. Bericht der Bundesregierung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung - 18. Legislaturperiode
Duveneck, Anika (2011): Kommunen übernehmen Verantwortung für gute Bildung. In: Duveneck, Anika/Volkholz, Sybille (Hrsg.): Kommunale Bildungslandschaften. Berlin, S. 9–41
Fischbach, Robert/Kolleck, Nina/de Haan, Gerhard (Hrsg.) (2015): Auf dem Weg zu nachhaltigen Bildungslandschaften. Lokale Netzwerke erforschen und gestalten. Wiesbaden
Grapentin-Rimek, Theresa (2019a): BNE-Bildungslandschaften – Kommunen als Schlüsselstellen für eine gesellschaftliche Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung. Executive Summary. Berlin
Grapentin-Rimek, Theresa (2019b): Bildung für nachhaltige Entwicklung in kommunalen Bildungslandschaften. In: Singer-Brodowski, Mandy/Etzkorn, Nadine/Grapentin-Rimek, Theresa (Hrsg.): Pfade der Transformation. Die Verbreitung von Bildung für nachhaltige Entwicklung im deutschen Bildungssystem. Opladen/Berlin/Toronto, S. 233–290
Jossin, Jasmin/Hollbach-Grömig, Beate (2020): Fallstudien guter Praxis der BNE-Verankerung in Kommunen. Projektbericht. Deutsches Institut für Urbanistik. Berlin
Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (2017): Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Berlin
Singer-Brodowski, Mandy/Etzkorn, Nadine/Grapentin-Rimek, Theresa (Hrsg.) (2019): Pfade der Transformation. Die Verbreitung von Bildung für nachhaltige Entwicklung im deutschen Bildungssystem. Opladen/Berlin/Toronto
Steiner, Christine (2024): New Kids on the Block? Neu gegründete zivilgesellschaftliche Organisationen in kommunalen Bildungslandschaften. In: Steiner, Christine/Kanamüller, Alexander/Langner, Ronald/Schlimbach, Tabea (Hrsg.): Gemeinsam für bessere Bildung?! Zivilgesellschaftliche Akteure in kommunalen Bildungslandschaften. Weinheim, S. 58–76
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Netzwerke und Kooperation

Wie die Akteursgruppen in der Kommune zusammenarbeiten
