Moin! Am schönsten ist es für die Arbeit in der Prozessbegleitung, wenn die Entwicklung in den Modellkommunen immer nur eine Richtung kennt - vorwärts. Dass es aber auch manchmal einen Schritt zurück braucht, um wieder zwei nach vorn zu machen, zeigt die Hanse- und Universitätsstadt Rostock. Am Ende können daraus sogar spannende und kreative Ergebnisse entstehen.
Die Segel werden gehisst
Die Hanse- und Universitätsstadt Rostock machte sich 2021 sehr motiviert auf den Weg einer BNE-Modellkommune. Ziel war es, die Strukturen und Angebote zu stärken, die Einwohner:innen zu praktisch nachhaltigem Handeln zu informieren, zu sensibilisieren und zu motivieren. Die Voraussetzungen schienen günstig: Die Stadt konnte mit dem in der Volkshochschule angesiedelten Bildungsbüro auf Erfahrungen einer übergreifenden Bildungssteuerung zurückgreifen. Außerdem gab es Beschlüsse und Strategien bis 2035 klimaneutral zu werden und einen Oberbürgermeister, dem das Thema wichtig war. Und dann stand da ja noch die Bundesgartenschau 2025 vor der Tür, die Themen wie biologische Vielfalt, gesunde Ernährung und Bewegung sowie globale Fragestellungen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel aufgreifen würde.
Der Vereinbarung zwischen dem BNE-Kompetenzzentrum und der Stadt vom 7. Oktober 2021 folgte zunächst ein Auftaktworkshop mit Stadtverwaltung und Bildungslandschaft, um die Segel für das Vorhaben zu setzen. Netzwerkaufbau und Umsetzung sollten in der Federführung des Bildungsbüros, des Amtes für Umwelt- und Klimaschutz und des IGA-Parks, einer Umweltbildungseinrichtung der Stadt, liegen. Gemeinsam wurde ein ambitionierter Umsetzungsplan mit Zielen und Maßnahmen erarbeitet.
Wenn der Wind sich dreht
Schon 2022 drehte sich der Wind, mit dem man in die Arbeit gestartet war und blies dem Vorhaben mächtig ins Gesicht. So wurden die über Förderprogramme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanzierten Stellen im Bildungsbüro nicht verlängert, so dass dessen Arbeit nicht weitergeführt werden konnte. Gleichzeitig zog die Stadt ihren Antrag für die Bundesgartenschau aus Zeit- und Kostengründen zurück. Durch diese und weitere Veränderungen stand man nun vor der Situation, dass für den ambitionierten Umsetzungsplan nur noch je eine Mitarbeiterin aus dem Amt für Umwelt- und Klimaschutz und aus dem IGA-Park zur Verfügung standen.
Mit neuer Kraft das Ruder rumreißen
Gemeinsam mit der Prozessbegleitung wurde beraten, inwiefern eine Teilnahme als Modellkommune unter diesen veränderten Rahmenbedingungen noch Sinn ergibt. Klar war, dass es eine Bekräftigung der Stadtspitze für das Vorhaben brauchte und dieses auch durch eine effektive Koordination und verwaltungsinterne Abstimmung dokumentiert werden musste.
Infolge der Abstimmungen trugen die neue Oberbürgermeisterin als auch die neue Senatorin für Stadtplanung, Bau, Klimaschutz und Mobilität das Vorhaben mit der Maßgabe, den sehr weitreichenden Umsetzungsplan von 2021 auf erreichbare Ziele zu konzentrieren und den Fokus auf Bildungsangebote mit Energie- und Klimabezug zu legen. Außerdem sollten sich die relevanten Fachbereiche strukturierter als zuvor einbringen. Im Ergebnis wurden vier Ziele vereinbart:
- Strukturelle Implementierung von BNE als kommunaler Querschnittsaufgabe
- Vernetzung und Sichtbarkeit der wesentlichen BNE-Akteure entlang der Bildungskette
- BNE-Angebote schaffen, fördern und sichtbar machen, die zur Klimaneutralität im Rahmen der städtischen Ziele beitragen
- Digitalisierung/Smart-City und BNE
Die Koordination übernahm Bianca Schuster, Leiterin einer Abteilung des Amtes für Umwelt- und Klimaschutz gemeinsam mit Josephine Busch, einer Kollegin aus der Umweltbildung, weiterhin unterstützt durch den IGA-Park, vertreten durch Heike Merten.
Als erstes Ergebnis wurde zwei Monate später eine städtische Arbeitsgruppe mit dem Namen „AG Zukunft lernen“ gegründet, in der verschiedene für BNE relevante Ämter regelmäßig und systematisch zusammenarbeiten (siehe Schaubild). Darüber hinaus werden weitere Fachbereiche anlassbezogen eingebunden. So gab es etwa einen Austausch mit der städtischen Koordinatorin für Gesundheitsförderung zur Auslotung möglicher Projekte im Bereich Förderung, Bewegung und umweltfreundliche Mobilität. Ein weiterer Austausch mit dem Amt für Schule und Sport ist geplant.
Folgende weitere, strukturelle Ergebnisse konnten seitdem erreicht werden:
- Positionierung von BNE in der Verwaltungsstrategie der Stadt
- Erstellung eines Grundsatzpapieres für die AG „Zukunft lernen“ inklusive BNE-Verständnis
- eigene, an den Stadtauftritt angelehnte Wort/Bild-Marke
- Etablierung einer Themenseite BNE auf der Homepage der Stadt
- erste stadtweite Erfassung von Einrichtungen mit Bezug zu BNE
Mit Rückenwind zur „17 Ziele“-Ausstellung und zum Klimaaktionstag
Neben der strukturellen Arbeit ist es genauso wichtig, erste sichtbare Maßnahmen für und mit den Einwohner:innen zu BNE umzusetzen. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) sah sich durch die Pressemitteilung ermuntert, auf die Stadt zuzugehen. So entstand Anfang 2024 die Kooperation „DRK meets BNE“. Sie sah vor, dass sich die Kinder in den Kindertagesstätten des DRK mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen auseinandersetzen und die Stadt sie bei der Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt unterstützt.
In den folgenden Monaten beschäftigten sich die Kitas nun damit, welche Inhalte der Nachhaltigkeit sie in ihrer Einrichtung fördern. Damit das Ganze möglichst anschaulich vermittelt werden kann, planten und bastelten die Kinder gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften Ausstellungsexponate und entwarfen bildbasierte Collagen. Das Amt für Umwelt- und Klimaschutz verfolgte laufend den Projektfortschritt und besuchte die Kitas vor Ort. Damit das Projekt auch über die Kindertagesstätten hinaus wirken konnte, wurde vereinbart, dass die entstandene Ausstellung im Rostocker Rathaus gezeigt werden soll.
„Unseren Kindern gehört die Zukunft. Nachhaltig zu leben ist eine große Herausforderung für uns alle. Ich bin gespannt auf die vielen, tollen Ideen, die die Kinder entwickelt haben. Wir freuen uns sehr über die Kooperation mit dem DRK und die gemeinsame Ausstellung im Rathaus."
Dr. Ute Fischer-Gäde, Senatorin für Stadtplanung, Bau, Klimaschutz und Mobilität in ihrem Grußwort
Am 2. Juli 2024 wurde die Rostocker Nachhaltigkeitsausstellung mit dem Namen „Kinder gestalten Zukunft“ mit den Exponaten, Collagen und Steckbriefen der zehn teilnehmenden DRK-Kindertagesstätten für die Öffentlichkeit freigegeben.
Zudem beteiligte sich die AG „Zukunft lernen“ am Klimaaktionstag am 15. September 2024. In der dafür autofreien Langen Straße in Rostock stellten zahlreiche öffentliche und private Einrichtungen sich selbst und ihre Bemühungen zu einem klimabewussteren Leben vor. Im Format einer Mitmach-Bastelaktion wurden Ideen gesammelt, wie Freiräume in der Stadt als sogenannte „Klimaoasen“ klimaneutral verändert werden könnten. Über einen Bildschirm lief zudem eine Präsentation zum Thema Klimawandelanpassung in Rostock. Während vor allem die jungen Besucher*innen bastelten, konnten die Eltern und andere Teilnehmende über das Informationsangebot für das Anliegen erreicht werden.
Wohin geht die Reise?
Jetzt da die Koordination von BNE in der Stadtverwaltung auf einem ersten Fundament steht, wird sich die Gruppe dem nächsten Ziel widmen: der Erfassung und Vernetzung relevanter Akteurinnen und Akteure. Im Nachgang des Klimaaktionstages sollen alle wichtigen Akteure der Zivilgesellschaft und die zahlreichen BNE-affinen Einrichtungen angesprochen werden. Welche Vorstellungen einer Zusammenarbeit haben sie? Welches Format wünschen sich die Einrichtungen und Akteure für (regelmäßige) Treffen im Netzwerk? Und wie können ihre Angebote so systematisiert und dargestellt werden, dass alle Einwohner*innen die für sie passenden Angebote finden und nutzen können?
Auch der zentrale Klimaaktionstag soll künftig einen geeigneteren Ort finden und auf den Marktplatz am Rathaus umziehen. Durch die Verschiebung der Veranstaltung vom Sonntag auf einen Samstag sollen auch Menschen erreicht werden, die in der Innenstadt ihre Einkäufe tätigen. Die Zielgruppen des Klimaaktionstages werden so erweitert.
"Die Teilnahme als BNE-Modellkommune und die damit verbundene Prozessbegleitung durch das BNE-Kompetenzzentrum hat uns sehr viel Rückenwind gegeben und immer wieder motiviert mit den wenigen Ressourcen, die wir haben, einfach anzufangen und auch kleine Schritte zu gehen. Denn auch diese sind wichtig! Nun möchten wir diese Erfolge natürlich fortsetzen und arbeiten daher an einer langfristigen Verstetigungsstrategie."
Bianca Schuster
Des Weiteren braucht es grundlegende Schritte, um sicherzustellen, dass es mit der Arbeit zu BNE auch über das Ende der Begleitung durch das Kompetenzzentrum im Juni 2025 hinaus weitergeht. Dafür werden in der Stadt verschiedene Szenarien erstellt. Sie sollen innerhalb der Verwaltung und in der BNE-Bildungslandschaft diskutiert und geprüft werden. Ziel ist eine Struktur, die langfristig und dauerhaft stabil ist und den BNE-Prozess auf feste Füße stellt und Kapazitäten für die Umsetzung bereithält.
Zudem soll die Rostocker Verwaltung im Sinne des Leitsatzes „Leben, was wir lehren“ mit Fortbildungsangeboten zur Nachhaltigkeit fit gemacht werden. Und nicht zuletzt möchte sich die Stadt in die Planungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Erstellung eines Masterplans für Bildung für nachhaltige Entwicklung einbringen.
Tipps von Steuerstand zu Steuerstand
Zusammengetragen von Bianca Schuster, Amt für Umwelt- und Klimaschutz der Universitäts- und Hansestadt Rostock und Leiterin der AG "Zukunft lernen".
Für den Start…
- Motivierte Personen sollten mit einem Fahrplan in der Tasche mit Mut und Fokus auf die Stadtspitze zugehen.
- Auf keinen Fall sollte das Thema zaghaft und zurückhaltend kommuniziert werden.
- Existieren keine Personen, die sich hauptamtlich den Thema Nachhaltigkeitsmanagement bzw. BNE widmen, sollten weitere Mitstreiter:innen gefunden werden, um die Aufgaben und Ideen auf breitere Schultern zu verteilen.
- Verzagen Sie nicht, wenn der große Hebel (noch) nicht in Sichtweite ist. Machen Sie beharrlich weiter. Auch kleine Schritte zählen.
…die strategische Ausrichtung:
- Die Verwaltungsspitze muss BNE und die Sinnhaftigkeit einer strukturellen Verankerung des Themas verstehen.
…die verwaltungsinterne Abstimmung:
- Wichtig ist ein "Gesicht" in Form einer festen Ansprechperson für die Koordination in der Stadtverwaltung.
- Flankierend sollten Abstimmungsstrukturen zwischen den Fachämtern und Eigenbetrieben geschaffen werden.
- Ein gutes Netzwerk lebt vom Engagement und guter Kommunikation einzelner Akteure. Anstatt Personen in ein Gremium zu zwingen, sollte die Motivation im Vordergrund stehen. Weniger Personen sind mehr.
- Gemeinsame Ziele festlegen, damit sich die Personen wiederfinden und einen Nutzen aus der AG-Mitwirkung ziehen können
- Regelmäßige Einbindung und Information der Leitungsspitze
…die Netzwerkarbeit:
- Die Verwaltung mag ein Scharnier sein, die Energie kommt aus der Bildungslandschaft. Ohne sie geht es nicht.
- Die Akteur:innen der Bildungslandschaft sollten proaktiv informiert und zum Mitmachen und Mitgestalten eingeladen werden. So können die vielfältigen Ideen und Erfahrungen aus der Praxis kanalisiert werden.