Um was geht es?
Die strukturelle Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in Kommunen (vgl. Was charakterisiert eine strukturelle Verankerung von BNE in Kommunen? Und warum ist das wichtig?), wie sie im Nationalen Aktionsplan BNE (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017) für alle Kommunen in Deutschland gefordert wird, kann nur als gemeinsame Aufgabe verschiedener kommunaler Akteursgruppen umgesetzt werden. Dazu gehören z.B. die kommunale Verwaltung, formale und non-formale Bildungsträger und -einrichtungen, zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure sowie Akteurinnen und Akteure aus der Wirtschaft und Wissenschaft. Für den Prozess der strukturellen Verankerung gibt es jedoch „keine erprobten Fahrpläne oder Blaupausen, an die sich die Akteure halten können. Vielmehr müssen die Akteure ihre Ziele und Handlungen kontinuierlich aufeinander abstimmen und dabei mit wechselseitigen Abhängigkeiten umgehen“ (Duveneck/Singer-Brodowski/Seggern 2020, S. 1). Solche Aushandlungsprozesse über gemeinsame Ziele und gemeinsames Handeln können erschwert werden, wenn die Vorstellungen über den Ist-Stand in der Kommune und über Gelingensbedingungen, die für eine strukturelle Verankerung förderlich sind, (stark) voneinander abweichen. Aufgrund unterschiedlicher Kompetenzen, Ressourcen, aber auch unterschiedlicher Bildungsverständnisse vonseiten Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Bildungsinstitutionen kann nicht automatisch von gleichen Prioritäten und Einschätzungen ausgegangen werden (Grapentin-Rimek 2019, S. 3; Tibussek 2009, S. 205).
In verschiedenen empirischen Studien und politischen Dokumenten werden unterschiedliche Aspekte benannt, die als förderlich für die strukturelle Verankerung von BNE in der kommunalen Bildungslandschaft angesehen werden (Albrecht/Mögling 2021). Diese Gelingensbedingungen können jedoch je nach Gruppenzugehörigkeit in ihrer Relevanz unterschiedlich beurteilt werden, was eine Zusammenarbeit möglicherweise erschweren könnte. Es stellen sich somit folgende Fragen: Gibt es Unterschiede in der Einschätzung der Gelingensbedingungen für die strukturelle Verankerung von BNE in den Kommunen zwischen verschiedenen Akteursgruppen und – sofern vorhanden – wie stark sind diese?
Aber auch wenn sich die Akteurinnen und Akteure hinsichtlich der förderlichen Faktoren einig sein sollten, kann es zu Schwierigkeiten in den Abstimmungsprozessen kommen, wenn die Ist-Standeinschätzung (systematisch) variiert. Um dies zu prüfen, wurde die Einschätzung der Befragten zum aktuellen BNE-Entwicklungsstand in der Kommune (von 1 „Wir stehen noch ganz am Anfang“ bis 5 „Wir konnten schon sehr viel erreichen, BNE ist bereits weitgehend integriert“) erfragt und auf Gruppenunterschiede geprüft.
Die erste Welle der quantitativen Expertenbefragung innerhalb des Projekts „Bildung – Nachhaltigkeit – Kommune“ ist die Datengrundlage für die folgenden Darstellungen (Vgl. Methodenbericht: Quantitative Erhebung).
Ergebnisse
In der folgenden Abbildung sind die Mittelwerte bezüglich der Einschätzung zum aktuellen BNE-Entwicklungsstand in den Kommunen getrennt für verschiedene Akteursgruppen dargestellt.
Über alle Befragten hinweg zeigt sich ein Mittelwert von 2,4 (SD=1,0). Während die Befragten aus der Verwaltung mit ihren Einschätzungen zum BNE-Entwicklungsstand mit einem Mittelwert von 2,5 leicht über dem Gesamtschnitt liegen, finden sich bei Befragten aus Bildungseinrichtungen und der Wirtschaft mit einem Mittelwert von jeweils 2,3 leicht unterdurchschnittliche Einschätzungen. Insgesamt zeigen sich allerdings nur geringe Abweichungen. Die Akteursgruppe scheint demnach in keinem direkten Zusammenhang mit der Einschätzung zum BNE-Entwicklungsstand zu stehen. Dies ist eine gute Nachricht, denn es gibt keine Hinweise darauf, dass Akteurinnen und Akteure unterschiedlicher Gruppen den Ist-Zustand unterschiedlich bewerten. Die notwendige Klärung von Ausgangslagen für eine strukturelle Verankerung von BNE in kommunalen Bildungslandschaften scheint demnach nicht durch systematisch unterschiedliche Situationseinschätzungen erschwert.
In der unten stehenden Abbildung sind die Gruppenmittelwerte der Akteursgruppen Verwaltung, Bildungseinrichtungen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft bezüglich der Einschätzung der Wichtigkeit einzelner Gelingensbedingungen für die strukturelle Verankerung von BNE in kommunalen Bildungslandschaften dargestellt. (Die Abfrage erfolgte mittels folgender Frage: Was ist Ihrer Meinung nach für die Verankerung von BNE in der Kommune wichtig? (5= sehr wichtig - 1 = sehr unwichtig))
Zunächst einmal wird deutlich, dass alle Aspekte von den Befragten im Durchschnitt als mindestens wichtig beurteilt werden. Der Gesamtmittelwert pro Aspekt, ungeachtet der verschiedenen Akteursgruppen, schwankt zwischen 3,8 („Ein datenbasiertes kommunales Bildungsmanagement (DKBM)“) und 4,7 („Politische Unterstützung/Akzeptanz“). Mit Blick auf die Akteursgruppen zeigt sich, dass die Bewertungen der Aspekte durch die jeweiligen Akteursgruppen sehr ähnlich sind und im Wesentlichen nicht voneinander abweichen. Die Differenz zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Wert beträgt in der Regel weniger als einen bzw. einen halben Skalenpunkt.
Was bedeutet das für die Praxis?
Die eingangs gestellte Frage, ob es Unterschiede zwischen den Akteursgruppen hinsichtlich der Situations- und Relevanzeinschätzung verschiedener Gelingensbedingungen hinsichtlich der strukturelle Verankerung von BNE in der kommunalen Bildungslandschaft gibt, kann auf Grundlage der hier vorliegenden Daten verneint werden. Ein grundsätzlicher Dissens - zumindest in den abgefragten Aspekten - zwischen den verschiedenen Akteursgruppen hinsichtlich der Gelingensbedingungen ist nicht erkennbar. Somit besteht eine tragfähige Basis für die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteursgruppen, um gemeinsame Ziele und Strategien leichter aushandeln und BNE erfolgreich in der Kommune strukturell verankern zu können.
Aufgrund der ähnlichen Priorisierung der Aufgaben durch die verschiedenen Akteurinnen und Akteure sowie der geteilten Einschätzung zum Ist-Stand ist vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse zunächst kein umfassender Verständigungsprozess zwischen den Akteursgruppen über die Gestaltung des BNE-Prozesses notwendig und es kann bereits auf einem Grundkonsens aufgebaut und mit der Planung und Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Verankerung von BNE in den Kommunen begonnen werden. Dies sollte jedoch immer wieder in den Kommunen und zum jeweiligen Zeitpunkt überprüft werden.
Literatur
Albrecht, Maria/Mögling, Tatjana (2021): Dimensionen struktureller Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Kommunen. In: BNE-Kompetenzzentrum (Hrsg.): Strukturelle Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in kommunale Bildungslandschaften, S. 65–104
Duveneck, Anika/Singer-Brodowski, Mandy/Seggern, Janne von (2020): Die Governance von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) auf dem Weg vom Projekt zur Struktur. Wissenschaftlicher Report zu Beginn des UNESCO BNE-Programms „ESD for 2030“
Grapentin-Rimek, Theresa (2019): BNE-Bildungslandschaften – Kommunen als Schlüsselstellen für eine gesellschaftliche Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung. Executive Summary. Berlin
Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (2017): Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Berlin
Tibussek, Mario (2009): Netzwerkmanagement. Steuerung in Bildungslandschaften. In: Bleckmann, Peter/Durdel, Anja (Hrsg.): Lokale Bildungslandschaften. Perspektiven für Ganztagsschulen und Kommunen. Wiesbaden, S. 203–21