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Kurzmitteilung aus der Forschung: Welche Rolle spielen Region und Gebietskörperschaft?

Analyse von Kontexteinflüssen auf die Implementierung von BNE in Kommunen

Um was geht es?

Im Nationalen Aktionsplan BNE heißt es: „Wenn der Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft gelingen soll, muss Nachhaltigkeit lokal verankert werden und vor Ort mit Leben gefüllt werden“ (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017, S. 89). Dabei wird sowohl auf die Dringlichkeit als auch auf den Fortschritt des Themas in den Kommunen hingewiesen. Dies gilt nicht nur für das Thema Nachhaltigkeit, sondern auch für Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). 

Bei der strukturellen Verankerung von BNE in der kommunalen Bildungslandschaft kann eine Vielzahl von Aspekten als bedeutsam angesehen werden (mehr dazu im Praxishandbuch. Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Kommune gestalten). Weitestgehend unberücksichtigt bleiben dabei bisher jedoch Einflussfaktoren wie die Region und die Gebietskörperschaft der Kommunen. Im Folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Gebietskörperschaft und die Region wesentliche Merkmale sind, die es bei der Strategieentwicklung zur strukturellen Verankerung von BNE in kommunalen Bildungslandschaften zu berücksichtigen gilt.

Zur Beantwortung der Frage werden die Daten der ersten Welle der quantitativen Expertenbefragung herangezogen, die im Rahmen des Projekts "BNE-Kompetenzzentrum: Bildung - Nachhaltigkeit - Kommune" erhoben wurden. (Mehr Informationen zur Befragung gibt es im Methodenbericht.)

Ergebnisse

Im Rahmen der Befragung wurden die Expertinnen und Experten gebeten, eine Einschätzung des aktuellen Entwicklungsstandes von BNE in ihrer Kommune vorzunehmen (von 1 „Wir stehen noch ganz am Anfang“ bis 5 „Wir haben schon viel erreicht, BNE ist schon weitgehend integriert“). Für die Auswertung wurden die Angaben aller Befragten zu dieser Frage innerhalb einer Kommune gemittelt, so dass für jede Kommune ein Wert vorliegt. 

Wie Abbildung 1 zeigt, war in knapp zwei Dritteln der Modellkommunen der Durchschnitt der Befragten der Meinung, dass die BNE-Entwicklung noch ganz am Anfang steht bzw. der Prozess erst begonnen hat. In einem weiteren knappen Drittel der Kommunen gab der Durchschnitt der Befragten an, dass bereits einige Schritte umgesetzt wurden. Nur in sehr wenigen Kommunen kam der Durchschnitt der Befragten zu der Einschätzung, dass die BNE-Entwicklung auf einem guten Weg ist. Die höchste Kategorie wurde vom Durchschnitt der Befragten in keiner der untersuchten Kommunen gewählt. Der Mittelwert über alle 48 Kommunen liegt bei 2,3 (SD = 0,60).

Der unterschiedliche Entwicklungsstand der Kommunen ist durch die Auswahl der Modellkommunen begründet. Es wurde darauf geachtet, dass sich in der Stichprobe Kommunen befinden, die in Bezug auf BNE unterschiedlich weit entwickelt sind. Grundlage für diese Einschätzung waren verschiedene Kriterien, die von der Prozessevaluation und der Prozessbegleitung für jede Kommune eingeschätzt wurden (Vgl. Kriterien und Auswahlverfahren).

Aus den Daten wird weiterhin deutlich, dass die Entwicklung von BNE laut Einschätzung der Befragten in den meisten Kommunen noch relativ weit am Anfang steht. Dies deckt sich mit den Befunden aus anderen Studien zum Stellenwert von BNE in Kommunen. So kommt beispielsweise Grapentin-Rimek (2019, S. 273) auf Grundlage von Experteninterviews zu dem Schluss, dass „Nachhaltigkeit beziehungsweise BNE bisher aus Sicht der Expert*innen keine prägende Thematik für die Mehrzahl der Kommunen“ ist. Auch Jossin und Hollbach-Grömig (2020, S. 27–28) stellen in ihren Fallstudien fest, dass andere Themen wie z.B. Wirtschaft, Integration und Digitalisierung von den Kommunen häufiger bearbeitet werden als BNE. Als Grund dafür führen sie u.a. an, dass „BNE – auch auf kommunaler Ebene – ein freiwilliges Handlungsfeld [ist], das in Anbetracht vielfach knapper personeller und finanzieller Ressourcen auf der kommunalen Agenda in aller Regel keine Priorität hat“ (ebd., S. 26).

Diese Verteilung hinsichtlich des Entwicklungsstandes kann aufgrund der Beschränkung auf die Modellkommunen nicht für das gesamte Bundesgebiet verallgemeinert werden. Dennoch ist es möglich zu prüfen, inwieweit die geografische Lage innerhalb Deutschlands sowie die Art der Gebietskörperschaft einer Kommune einen Einfluss auf die Prozesse der strukturellen Verankerung von BNE in kommunalen Bildungslandschaften haben. 

Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich die Einschätzungen zum Entwicklungsstand von BNE zwischen den Regionen Nordwest, Süd und Nordost unterscheiden. (Vgl. Übersicht Modellkommunen von A-Z). 

Ein Blick auf die Mittelwerte der Einschätzungen zum BNE-Entwicklungsstand zeigt: Während die Mittelwerte der Befragten aus den Kommunen der Region Nordwest (MW=2,5, SD=0,63) und Süd (MW=2,4, SD=0,60) den BNE-Entwicklungsstand in ihrer Kommune leicht überdurchschnittlich einschätzen, liegen die Einschätzungen der Mittelwerte der Befragten aus der Region Nordost unter dem Gesamtmittelwert aller Kommunen (MW=2,0, SD=0,48). Worauf diese Unterschiede zurückzuführen sind, kann an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden.

Weiterhin wurde geprüft, ob es Unterschiede zwischen Landkreisen, kreisfreien Städten und kreisangehörigen Kommunen gibt. Einige Expertinnen und Experten in der Befragung von Grapentin-Rimek (2019, S. 239) berichten, dass deutsche Großstädte „[…] BNE grundsätzlich in ihre Strukturen und Prozesse integriert hätten […]“. Auf dieser Grundlage kann vermutet werden, dass der Entwicklungsstand von BNE in den kreisfreien Städten, die Teil des BiNaKom-Projektes sind, schon etwas weiter fortgeschritten ist. Ein Blick auf Abbildung 3 zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Gebietskörperschaften und bestätigt somit diese Vermutung. 

Der Mittelwert der Landkreise liegt mit 2,0 (N=19, SD= .44) niedriger als bei den anderen beiden Gebietskörperschaften. Kreisangehörige Gemeinden und kreisfreie Städte weisen hingegen ähnliche Mittelwerte auf. Diese liegen deutlich über dem Mittelwert der Landkreise (kreisangehörige Kommunen: MW=2,6, N=5, SD=.67; kreisfreie Städte: MW=2,5, N=24, SD=.58). Kommunen, die der Gebietskörperschaft Landkreis zugeordnet werden können, scheinen aus Sicht der Befragten im BNE-Entwicklungsprozess weniger weit fortgeschritten zu sein als Kommunen, die den kreisangehörigen Kommunen und kreisfreien Städten zugeordnet werden können. 

Was bedeutet das für die Praxis?

Im Hinblick auf die Frage, was wir über den BNE-Entwicklungsstand in den Modellkommunen wissen, lässt sich festhalten, dass die strukturelle Verankerung von BNE in kommunalen Bildungslandschaften in den meisten der betrachteten Modellkommunen noch am Anfang steht. Dies dürfte ein durchaus verallgemeinerbarer Befund sein. Tendenziell lässt sich erkennen, dass der kommunale BNE-Entwicklungsstand in der Region Nordost niedriger als in den Regionen Süd und Nordwest ausfällt. Die unterschiedliche finanzielle Ausstattung der Kommunen oder unterschiedliche Regionalkulturen, die einen Einfluss auf die Bereitschaft sich der strukturellen Verankerung von BNE in kommunalen Bildungslandschaften zu stellen, könnten mögliche Erklärungen dafür sein. Hierfür bedarf es weiterer Aufklärung und weiterführender Forschung. Was sich aber in den Daten zeigt, dass eine regionalisierte und Strukturunterschiede berücksichtigende, ressourcenunterstützende Begleitung der Kommunen bei der strukturellen Verankerung von BNE beachtet werden sollte.

Literatur

Grapentin-Rimek, Theresa (2019): Bildung für nachhaltige Entwicklung in kommunalen Bildungslandschaften. In: Mandy Singer-Brodowski, Nadine Etzkorn und Theresa Grapentin-Rimek (Hg.): Pfade der Transformation. Die Verbreitung von Bildung für nach-haltige Entwicklung im deutschen Bildungssystem. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich (Schriftenreihe "Ökologie und Erziehungswissenschaft“ der Kommission Bildung für eine nachhaltige Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)), S. 233–290. 

Jossin, Jasmin; Hollbach-Grömig, Beate (2020): Fallstudien guter Praxis der BNE-Verankerung in Kommunen. Projektbericht. Unter Mitarbeit von Sebastian Köllner, Hanna Gieseler und Holz Philipp. Deutsches Institut für Urbanistik. Berlin. Online verfügbar unter https://difu.de/sites/default/files/media_files/2020-05/projektbericht_bne-verankerung.pdf, zuletzt geprüft am 29.07.2020. 

Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (2017): Nationaler Aktions-plan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Berlin.


| Judith Werner