Das Kompetenzzentrum Bildung – Nachhaltigkeit – Kommune begleitet seit 2020 48 ausgewählte Modellkommunen bei der strukturellen Verankerung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in ihre kommunalen Bildungslandschaften (zum Begriff Vgl. Was charakterisiert eine strukturelle Verankerung von BNE in Kommunen?). Im Umsetzungsprozess arbeiten einerseits Prozessbegleitungen eng mit den Verwaltungen der Modellkommunen zusammen. Andererseits beforscht ein Wissenschaftsteam die Umsetzungsprozesse vor Ort, um sie auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse zu optimieren.
Ende 2023 befragte das Wissenschaftsteam die Prozessbegleitungen des Kompetenzzentrums zu den BNE-Prozessen in den Modellkommunen. Wichtig ist, dass es bei dieser Befragung nicht um eine Evaluation der strukturellen Verankerung in einzelnen Kommunen ging. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses standen vielmehr ganz allgemein – und von den Modellkommunen unabhängig – die einzelnen Arbeitsschritte im BNE-Prozess sowie deren Relevanz für die Verstetigung von BNE in kommunalen Bildungslandschaften (ausführlich siehe Abschnitt: Was wurden die Prozessbegleitungen gefragt?).
Der vorliegende Text beschreibt ausgewählte methodische Aspekte der Prozessbegleitungsbefragung näher.
Warum wurden die Prozessbegleitungen befragt?
Viele der Prozessbegleitungen des Kompetenzzentrums arbeiten mit den Verwaltungen der Modelkommunen seit mehreren Jahren zusammen, um die strukturelle Verankerung einer BNE in den kommunalen Bildungslandschaften voranzutreiben. In dieser Zeit haben die Prozessbegleitungen wertvolle Kenntnisse über die kommunalen BNE-Prozesse gewonnen. Qua ihrer begleitenden Tätigkeit verfügen sie über Wissen, das in dieser Umfänglichkeit kaum einem weiteren Akteur bzw. einer weiteren Akteurin im Feld der strukturellen BNE-Verankerung zur Verfügung steht.
Das Wissen der Prozessbegleitungen umfasst zum einen ein Überblickswissen über die unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Verankerung von BNE in sämtlichen der Modellkommunen. Zum anderen haben die Prozessbegleitungen vertiefte Kenntnisse über kommunenbezogene Besonderheiten im BNE-Prozess, so zum Beispiel über
- spezielle Arbeitsschwerpunkte,
- über besondere Herausforderungen, auf die die am BNE-Prozess Beteiligten stoßen,
- und über fruchtbare Lösungsansätze, die ergriffen werden, um eben jene Herausforderungen zu bewältigen.
Angesichts dieses umfänglichen Wissens ist es nicht nur sinnvoll, sondern auch vielversprechend die Prozessbegleitungsperspektiven auf die strukturelle Verankerung einer BNE in kommunalen Bildungslandschaften zu erfassen.
Wie wurden die Prozessbegleitungen befragt?
Die Prozessbegleitungen wurden jeweils in ihren Teams an den Standorten des Kompetenzzentrums befragt (Süd, Nord-Ost und Nord-West, siehe Abbildung 1). Als Erhebungsverfahren kam die sogenannte Fokusgruppe zum Einsatz (Schulz 2012; Bohnsack & Przyborski 2007, Henseling & Hahn 2006, Littig & Wallace 1997).
Ein zentrales Merkmal der Fokusgruppe ist, dass die Gesprächsbeiträge der Teilnehmenden über eine Moderation und einen Leitfaden strukturiert werden (Henseling/Hahn 2006). Insbesondere der Leitfaden sicherte ab, dass die Fokusgruppen an den drei Standorten des Kompetenzzentrums inhaltlich vergleichbar blieben. So waren im Leitfaden Fragen festgehalten, die jeder Fokusgruppe gestellt wurden.
Was wurden die Prozessbegleitungen gefragt?
Die Fragen des Leitfadens ließen sich inhaltlich drei verschiedenen Blöcken zuordnen. Der erste Frageblock fokussierte auf die einzelnen Arbeitsschwerpunkte, die in den Modellkommunen im Rahmen des BNE-Prozesses seit Projektbeginn verfolgt wurden. Ein besonderer Fokus lag in diesem Zusammenhang auf der Prozesshaftigkeit der genannten Arbeitsschwerpunkte: An welcher Stelle war jeweils mit der Arbeit begonnen worden und wohin hatte man sich seitdem entwickelt? Wo konnten keine Fortschritte erzielt werden und warum? Im Rahmen des Auswertungsverfahrens ermöglichte der Fokus auf die Prozesshaftigkeit der Arbeitsschwerpunkte, zentrale Merkmale einer und unterschiedliche Grade der Verstetigung von BNE in den kommunalen Bildungslandschaften herauszuarbeiten.
Im zweiten Frageblock wurden die Prozessbegleitungen gebeten, die von ihnen benannten Arbeitsschwerpunkte in den Kommunen im Hinblick auf ihre Wichtigkeit für die Verstetigung einer BNE in kommunalen Bildungslandschaft zu bewerten. Dazu wurde ein Rankingverfahren eingesetzt (vgl. Kühn 2018). Im Prozess der Datenauswertung ermöglichte Frageblock II, die Wichtigkeit und zeitliche Abfolge der einzelnen Arbeitsschwerpunkte im BNE-Prozess abzuschätzen.
Ein dritter Fragenblock diente einer Bilanzierung der Diskussionsinhalte sowie der Ansprache von bis dahin nicht thematisierten, jedoch relevanten Inhalten. Um die wichtigsten Voraussetzungen für die Verstetigung einer BNE in kommunalen Bildungslandschaften noch einmal pointiert zu erfassen, wurden die Prozessbegleitungen zum Schluss gebeten, "kurz und knapp" die für sie wichtigsten Bedingungen zu benennen.
Im Durchschnitt dauerten die Fokusgruppen an jedem der Standorte zwei Stunden. Sie wurden aufgezeichnet und für die Datenauswertung und -analyse transkribiert.
Datenauswertung
Die Datenauswertung der transkribierten Fokusgruppen erfolgte computergestützt unter Rückgriff auf das Programm MAXQDA. Methodisch orientierte sich das Auswertungsverfahren an zentralen Analysenschritten des thematischen Kodierens nach Flick (2011; 2004; 1996). Letzteres lag insofern nahe, als beim thematischen Kodieren das Datenmaterial in einem der ersten Auswertungsschritte thematischen Bereichen zugeordnet wird, die als relevant identifiziert werden konnten.
Für die Auswertung der Fokusgruppen lagen diese thematischen Bereiche bereits in Form jener Handlungsfelder vor, die das Kompetenzzentrum im Projektverlauf als zentral für die strukturelle Verankerung einer BNE in kommunalen Bildungslandschaften herausarbeiten konnte (siehe Abbildung 2; ausführlich zu den Handlungsfeldern Autorengruppen BNE-Kompetenzzentrum 2023, Eulenberger XX). Die Vorsortierung des Datenmaterials entlang der BNE-relevanten Handlungsfelder ermöglichte, inhaltlich an die bisherigen Ergebnisse des Kompetenzzentrums anzuschließen und diese weiter auszuarbeiten.
In einem zweiten Schritt der Datenauswertung – und dem Vorgehen des thematischen Kodierens entsprechend – erfolgte eine differenzierte Analyse der Handlungsfelder. Sie wurden zu immer feineren Kategoriensystemen ausgearbeitet.
Als Beispiel: Es zeigte sich, dass in den Fokusgruppen an allen drei Standorten des Kompetenzzentrums im Hinblick auf das Handlungsfeld 1 Strategie & Ziele Auseinandersetzungen über ein gemeinsames BNE-Verständnis in den Kommunen verhältnismäßig viel Raum einnahmen. Diese Auseinandersetzungen ließen sich ausdifferenzieren nach
- den Gründen, warum ein gemeinsames BNE-Verständnis in einer Kommune sinnvoll sein kann,
- nach Einflussfaktoren, die in die Entwicklung eines gemeinsamen BNE-Verständnissen hineinspielen, sowie
- Handlungsstrategien, wie ein gemeinsames BNE-Verständnis erarbeitet werden kann.
Die ausführlichen Ergebnisse zum (gemeinsamen) BNE-Verständnis in Kommune und Verwaltung finden Sie in Kürze in der Infothek. Analog dem Handlungsfeld I erfolgte sukzessive die Feinanalyse der weiteren Handlungsfelder in den Gruppendiskussionen.
Literatur
Autorengruppe BNE-Kompetenzzentrum (2023): Praxishandbuch. Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Kommune gestalten. München. Online verfügbar unter: https://www.bne-kompetenzzentrum.de/BNE-Praxishandbuch/BNE-Praxishandbuch.html (letzter Zugriff: 24.05.2024).
Bohnsack, R. & Przyborski, A. (2009): Gruppendiskussionsverfahren und Focus Groups. In: Qualitative Marktforschung. Konzepte – Methoden – Analysen. Wiesbaden: Gabler, 2. Aufl. S. 491-506.
Eulenberger, J. (2024): Was charakterisiert eine strukturelle Verankerung von BNE in Kommunen? Warum ist das wichtig? München
Flick, U. (1996): Psychologie des technisierten Alltags. Soziale Konstruktionen und Repräsentationen technischen Wandels. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Flick, U. (2004): Gesundheit als Leitidee? Subjektive Gesundheitsvorstellungen von Ärzten und Pflegekräften. Bern: Hans Hubert.
Flick, U. (2011): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. 4. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Henseling, C. & Hahn, T. (2006): Die Fokusgruppen-Methode als Instrument in der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung. Online verfügbar unter: https://www.researchgate.net/publication/258436125_Die_Fokusgruppen-Methode_als_Instrument_in_der_Umwelt-_und_Nachhaltigkeitsforschung (letzter Zugriff: 30.04.2024).
Kühn, T. & Koschel, K.-V. (2018): Gruppendiskussionen. Ein Praxis-Handbuch. Wiesbaden: Springer VS. 2. Auflg.
Littig, B.& Wallace, C. (1997): Möglichkeiten und Grenzen von Fokus-Gruppendiskussionen für die sozialwissenschaftliche Forschung. (Reihe Soziologie / Institut für Höhere Studien, Abt. Soziologie, 21). Wien: Institut für Höhere Studien (IHS), Wien. Online verfügbar unter: https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/22202/ssoar-1997-littig_et_al-moglichkeiten_und_grenzen_von_fokus-gruppendiskussionen.pdf?sequence=1&isAllowed=y&lnkname=ssoar-1997-littig_et_al-moglichkeiten_und_grenzen_von_fokus-gruppendiskussionen.pdf (letzter Zugriff 30.04.2024)
Schulz, M. (2012): Quick and easy!? Fokusgruppen in der angewandten Sozialwissenschaft. In: Schulz, M., Mack, B., Renn, O. (Hrsg.): Fokusgruppen in der empirischen Sozialwissenschaft. Von der Konzeption bis zur Auswertung. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 9-22.