Zwei Sprechblasen, darin steht: ...? und ... .

Methodenbericht: Qualitative Expertenbefragung

Befragung von kommunalen Akteurinnen und Akteuren in zwei Wellen

Zur Erfassung wichtiger Kriterien strukturellen Verankerung (Vgl. Was charakterisiert eine strukturelle Verankerung von BNE in Kommunen?) von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in kommunalen Bildungslandschaften wurde im Modellprojekt "BNE-Kompetenzzentrum: Bildung – Nachhaltigkeit – Kommune" eine zweiwellige qualitative Befragung von kommunalen Expertinnen und Experten durchgeführt. 

Ziel der qualitativen Teilstudie war es, die Vielfalt von Prozessen abzubilden sowie maßgebliche Erfolgs- und Hemmnisfaktoren in der Umsetzung von BNE-Aktivitäten zu identifizieren. Zu untersuchenden Fragen in den beteiligten Kommunen zählten u.a.: 

  • Wie ist BNE als kommunale Aufgabe in den untersuchten Modellkommunen jeweils strukturiert?
     
  • Welche BNE-(Selbst-)Verständnisse existieren unter den involvierten BNE-Akteurinnen und Akteuren?
     
  • Welchen Beitrag leisten bestehende kommunale oder andere BNE-Netzwerke dazu, wie BNE als soziale und pädagogische Innovation in den Modellkommunen umgesetzt wird?
     
  • Welche Gelingens- und Hemm-, ggfs. auch Störfaktoren bezüglich der Implementation von BNE identifizieren sie?

Die qualitativen Interviews wurden als Experteninterviews konzipiert, da die im Handlungsfeld Bildung bzw. Nachhaltigkeit tätigen und zu befragenden Interviewpartner:innen über Spezialwissen darüber verfügen, wie der jeweilige Prozess verläuft (vgl. auch Gläser/Laudel 2010, S. 12; Bogner/Littig/Menz 2014, S. 17ff.; Meuser/Nagel 2009, S. 470f.).

Im Folgenden wird das Vorgehen zu den Auswahlprozessen sowie zur methodischen Herangehensweise vorgestellt. 

Auswahl der Fallstudienkommunen

Bei der Auswahl der Kommunen war die grundlegende Voraussetzung, dass die kreisfreien, kreisangehörigen Städte und Gemeinden sowie Landkreise unmittelbar vor Beginn der Feldphase bereits eine Zielvereinbarung mit dem BNE-Kompetenzzentrum unterschrieben hatten. Ein weiteres Auswahlkriterium bildete der kommunale (B)NE-Entwicklungsstand, der auf Grundlage eines pragmatischen Indikatoren gestützten Schnellchecks vorgenommen wurde. Im Ergebnis wurden 15 Modellkommunen für Fallstudien ausgewählt.

Übersicht ausgewählter Kommunen und Landkreise:

(B)NE-Erfahrungsgradkreisfreie StädteLandkreisekreisangehörige 
Kommunen
BNE-Erfahrung3//
NE-Erfahrung342
geringe (B)NE-Erfahrungen12/
BNE-Erfahrung3//
NE-Erfahrung342
geringe (B)NE-Erfahrungen12/

Entwicklung des Interviewleitfadens und Rekrutierung der Interviewpartner:innen

Zur Vorbereitung aller Erhebungen wurde von der Prozessevaluation ein Analyseraster ausgearbeitet. Auf dieser Grundlage und mithilfe einer Literaturrecherche wurden vier Themenbereiche mit geringen empirisch fundierten Erkenntnissen identifiziert: BNE-(Selbst)-Verständnisse, die bisherige BNE-Praxis, Prozesse der strukturellen Verankerung sowie der Aufbau und Nutzen von BNE-Netzwerken. 

Die qualitativen Befragungen wurden in zwei Erhebungswellen umgesetzt. Bei der Entwicklung der teilstrukturierten Leitfäden wurde neben den spezifischen forschungsleitenden Fragen auch Raum für induktive Themen der einzelnen Gesprächspartner:innen gelassen (Loosen 2016). In beiden Erhebungswellen gab es neben wiederkehrenden Themen (z.B. zum Umsetzungsprozess) unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. In der ersten Welle lag der Fokus auf BNE-Verständnissen, Steuerung und Transparenz, während in der zweiten Welle vor allem enge, gelegentliche und anvisierte Kooperationen auf Akteur:innenebene im Mittelpunkt standen. Im Rahmen der Interviews wurden kommentierte Netzwerkkarten als Visualisierungsmethode für die Erfassung interorganisationaler Netzwerke eingesetzt (vgl. Fehser u. a. 2019). 

Es wurden Expert:innen befragt, die durch „[…] ihr Wissen und ihre Einschätzungen die Handlungsbedingungen anderer Akteure in entscheidender Weise (mit-) strukturieren“ (Bogner/Littig/Menz 2014, S. 13) und nach Möglichkeit nicht Entscheider:innen selbst (Meuser/Nagel 1991, S. 443f.). Von besonderer Bedeutung waren Expert:innen aus den, für den Ausbau einer BNE-Bildungslandschaft, als relevant erachteten Handlungsfeldern (Nationale Plattform BNE 2017). Dementsprechend wurden befragt: Mitarbeiter:innen kommunaler Verwaltungen und Politik, Vertreter:innen aus der Zivilgesellschaft (Vereine, Initiativen usw.), Akteur:innen der formalen und non-formalen Bildung u.a. auch Volkshochschulen und besonders engagierte Einzelpersonen mit BNE-Bezug.

Sampling und Erhebung

Der Auswahlprozess der Interviewpartner:innen gestaltete sich in zwei Etappen: zum einen wurden die für die Modellkommune zuständigen Prozessbegleiter:innen gebeten, für das Interview in Frage kommende Ansprechpersonen zu benennen. Parallel wurden eigene Web-Recherchen nach passenden Inteviewpartner:innen durgeführt. 

Die Erhebung der Interviews fand coronabedingt digital per Videoanwendung statt. Es wurden jeweils drei bis vier Interviews in den 15 Fallstudien-Modellkommunen durchgeführt. Die erste Interviewwelle wurde im Anschluss an den Interview-Pretest im Zeitraum von Juli bis Dezember 2021 durchgeführt. Realisiert wurden insgesamt 53 Interviews. Die Interviews wurden anschließend transkribiert. Die zweite Interviewelle wurde in den Monaten Juni bis August 2022 umgesetzt. Hier wurden insgesamt 48 Interviews geführt. Interviewpartner:innen waren dabei all diejenigen BNE-Akteur:innen, die bereits an der ersten Welle teilgenommen hatten (n=44). Für den Fall, dass Interviewpersonen zwischenzeitlich ihre Funktion gewechselt hatten, wurde versucht, Personen aus den gleichen Institutionen / Organisationen für ein Interview zu gewinnen (n=4). 

Übersicht interviewter Akteurinnen und Akteure:

InterviewpersonenAnzahl 1. WelleAnzahl 2. Welle
Kommunalverwaltung1619
Politik64
(non-)formale Bildung108
Volkshochschulen75
Zivilgesellschaft1412
Gesamt5348

Auswertung und Analyse

Als erster Schritt der Auswertungsstrategie wurde nach Abschluss der ersten Interviewwelle entlang der forschungsleitenden Fragen und der deduktiv aus der Theorie abgeleiteten Kategorien ein Codebaum erarbeitet. Die Formulierung der primären Kategorien entsprach dabei im Wesentlichen den Kernkomponenten des datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements (DKBM, vgl. Euler/Sloane 2018, S. 8ff.). Diese Vorgehensweise erleichterte die Einordnung der in den Interviews gemachten Aussagen in Hinsicht auf den BNE-Verankerungsprozess in die vorhandenen lokalen Bildungslandschaften. Nach der Erstellung des Codebaums ließen sich die Interviewpassagen den darin ausgewiesenen Codes zuordnen (vgl. Loosen 2016). Die Codierung des Datenmaterials der ersten und zweiten Interviewelle erfolgte computergestützt mit dem Analyseprogramm MAXQDA. 

Das in der inhaltsanalytischen Tradition nach Mayring (2010) übliche deduktive Vorgehen wurde sinnvoll mit einer am Prinzip der Offenheit verpflichteten Herangehensweise über die Handhabung des Kategoriensystems gewährleistet (vgl. ebenda) (d.h. mit neuen induktiv gewonnenen Kategorien, die das ursprünglich deduktiv abgeleitete Kategoriensystem ergänzen). Bei der Auswertung selbst handelte es sich um eine Fallrekonstruktion als Analyse von Fällen in Hinsicht auf die Entdeckung von Mustern, Zusammenhängen oder Kausalmechanismen. Anschließend wurde zu einer vergleichenden Analyse übergegangen, und es wurde danach gefragt, ob sich bestimmte Regelmuster in verschiedenen Fällen, d.h. Kommunen, finden (vgl. z. B. Bogner 2014, S. 75).

Nach der Codierung der Interviewsequenzen erfolgte die Analyse zunächst auf Fallebene bzw. auf Ebene der Kommunen. Hierfür wurden die Interviewaussagen zur Beschreibung von Fällen in thematische Schwerpunkte verdichtet und ggf. mit Zitaten zu den wichtigsten Schlüsselstellen ergänzt. Im Anschluss wurde eine querschnittliche Analyse im Hinblick auf die einzelnen Themenschwerpunkte durchgeführt. 

Auch zur zweiten Interviewwelle, die sich schwerpunktmäßig mit den Eigenschaften von kommunalen BNE-Netzwerken beschäftigt, wurde eine Auswertungsstrategie erarbeitet. Die Interviewaussagen wurden in das bereits vorhandene Code- bzw. inhaltsanalytische Kategoriensystem eingepflegt. Die Auswertungsstrategie wurde beigehalten und ein spezifischer thematischer Fokus gesetzt. Im Besonderen ging es dabei um die Analyse von Netzwerkaspekten, d.h. um die Einschätzung der Beziehungen zu BNE-relevanten Kooperationspartner:innen. Insgesamt gab die Analyse Aufschluss darüber, inwiefern innerhalb kommunaler Netzwerke diverse BNE-relevante Handlungsbereiche bestehen, wie stark diese Handlungsbereiche miteinander verbunden sind und inwiefern diese Beziehungen auf Langfristigkeit angelegt sind. Dadurch können Rückschlüsse auf den kommunalen BNE-Prozess gezogen werden, insbesondere darüber, welche Netzwerkeigenschaften die strukturelle Verankerung von BNE begünstigen.

Limitationen

Da unmittelbar vor Beginn der Feldphase nur 21 von insgesamt 48 Modellkommunen eine Zielvereinbarung (Auswahlgrundlage) mit dem BNE-Kompetenzzentrum unterschrieben hatten, wurden 15 Kommunen als Fallstudien aus weniger als der Hälfte aller Modellkommunen ausgewählt. Zusätzlich war geplant, Interviews in mindestens einer Kommune pro Bundesland (außer Stadtstaaten) zu realisieren. Das gelang bis auf eine Ausnahme (Baden-Württemberg, zum damaligen Zeitpunkt lag aus diesem Bundesland noch keine Zielvereinbarung vor).


Literatur

Bogner, Alexander/Littig, Beate/Menz, Wolfgang (2014): Interviews mit Experten. Eine praxisorientierte Einführung. Wiesbaden

Euler, D./ Sloane, P. F. E. u.a.: Innovationsförderung durch Transferagenturen. Erfahrungen im Aufbau von Transferagenturen zur Förderung eines datenbasierten kommunalen Bildungsmanagements. Detmold 2018

Fehser, Stefan/Mögling, Tatjana/Schlimbach, Tabea/Reißig, Birgit (2019): Demokratieförderung in der beruflichen Bildung. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Programmbereichs F „Engagement und Vielfalt in der Arbeits- und Unternehmenswelt“. München

Loosen, Wiebke (2016): Das Leitfadeninterview – eine unterschätzte Methode. In: Averbeck-Lietz, Stefanie/Meyen, Michael (Hrsg.): Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft. Wiesbaden, S. 139–155

Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (2017): Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Berlin

Mayring, Philipp (2010): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim/Basel.

Meuser, Michael/Nagel, Ulrike (2009): Das Experteninterview – konzeptionelle Grundlagen und methodische Anlage. In: Pickel, Susanne/Pickel, Gert/Lauth, Hans-Joachim/Jahn, Detlef (Hrsg.): Methoden der vergleichenden Politik- und Sozialwissenschaft. Neue Entwicklungen und Anwendungen. Wiesbaden, S. 465–479

Meuser, Michael/Ulrike Nagel (1991): ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht: ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In: In Detlef Garz/Klaus Kraimer (Hrsg.), Qualitativ-empirische Sozialforschung: Konzepte, Methoden, Analysen. Opladen: Westdt. Verl., S. 441-471.


| Tatjana Mögling