BNE hat den Wandel zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zum Ziel. Das kann nur gelingen, wenn die Mehrheit die Veränderungen mitträgt. Das ist einer der Gründe, weshalb es wichtig ist, die Bevölkerung bereits an den BNE-Prozessen in der Kommune zu beteiligen. Dabei gilt es einiges zu beachten.
Die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist auf Beteiligung und breite Akzeptanz angewiesen. Bildung für nachhaltige Entwicklung trägt durch aktiven Wissenserwerb und Kompetenzaufbau zur Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen bei.
Wenn Sie sich mit Beteiligung beschäftigen, ist es wichtig, zwischen Partizipation und bürgerschaftlichem Engagement zu unterscheiden: „So ist Bürgerengagement eher auf praktische Hilfe und Unterstützung ausgerichtet, während sich die Bürgerbeteiligung eher auf politische Prozesse und die Aushandlung von Interessen fokussiert“ (Wegner 2014, S. 1). Der Begriff Partizipation stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Teilhabe. Demzufolge meint er die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an kommunalen Entscheidungsprozessen.
Die individuelle Fähigkeit zur Partizipation ist ein wichtiges Bildungsziel von BNE. Sie befähigt die Lernenden zur aktiven und selbstbestimmten Gestaltung der Gegenwart und Zukunft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Die Fähigkeit zur aktiven Mitgestaltung muss gelernt und geübt werden (Rieckmann/Stoltenberg 2011). Eine BNE mit Fokus auf Kompetenzerwerb bietet hierzu ideale Rahmenbedingungen, denn die Teilnahme an partizipativen Verfahren ermöglicht diesen persönlichen Kompetenzaufbau.
Diese Kompetenzen werden für einen Partizipationsprozess benötigt und dabei erlernt:
- Fähigkeit, geeignete Partizipationsmethoden je nach Kontext und Situation auszuwählen und kritisch einzuschätzen
- Fähigkeit zu Gemeinschaftlichkeit und Dialog
- Fähigkeit zur Konfliktlösung
- Fähigkeit zu Empathie, Sensibilität und Glaube an Selbstwirksamkeit
- Fähigkeit zur Entwicklung von Einstellungen
- Fähigkeit, bestehende Einflussmöglichkeiten tatsächlich zu realisieren
- Fähigkeit, sich aktiv und gestaltend an Prozessen einer nachhaltigen Entwicklung zu beteiligen
(Rieckmann/Stoltenberg 2011)
Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Ebene der Kommunalverwaltung und die Frage, wie die Beteiligung aller Menschen, ob jung oder alt, im kommunalen (B)NE-Prozess gelingen kann. Dabei ist es notwendig, diesen Entwicklungsprozess nicht isoliert von der individuellen Ebene zu betrachten. Vielmehr muss der jeweilige Einfluss auf das übergeordnete Ziel der gesellschaftlichen Transformation sowie auf den Weg dorthin berücksichtigt werden (siehe Abb. 25). Es sind also mindestens zwei Ebenen von Bedeutung bei der Auseinandersetzung mit der Partizipation der Zivilgesellschaft im Kontext eines gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses: die Ebene der Institution und die Ebene des Individuums.

Wie Partizipation mit nachhaltiger Entwicklung und BNE zusammenhängt
Aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen, die mit dem Wandel zu einer nachhaltigen Gesellschaft einhergehen, ist die breite Akzeptanz dieses Prozesses ein zentraler Erfolgsfaktor. Die Veränderungen müssen von der Mehrheit der Gesellschaft mitgetragen werden. Erfolgreiche Teilhabeprozesse steigern die Akzeptanz von Entscheidungen. Nachhaltige Entwicklung braucht also Partizipation; ein alleiniger Top-down-Prozess kann nicht zum Erfolg führen.
Auf individueller Ebene ist der Bezug zwischen Bildungsprozessen und Partizipation schnell zu erkennen: Menschen müssen über die Fähigkeiten verfügen, sich zu beteiligen. Nur dann kann die Perspektive der Bürger:innen in all ihrer Vielfalt einfließen und den Wandel befördern. Denn bei nachhaltiger Entwicklung geht es um einen „gesellschaftliche[n] Lern-, Verständigungs- und Gestaltungsprozess, der erst durch die Beteiligung möglichst Vieler mit Ideen und Visionen gefüllt und vorangetrieben werden kann“ (Rieckmann 2021, S. 10). Partizipation fördert demnach die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung und erhöht gleichzeitig die Transparenz von Entscheidungs-prozessen. Sie führt durch die Vielfalt der Perspektiven und damit verbundenem Wissen und durch unterschiedliche Erfahrungen zu besseren Ergebnissen sowie dem Aufbau von gegenseitigem Verständnis. Dies kann insbesondere komplexe und konfliktbehaftete Entscheidungsprozesse beschleunigen und befrieden.
Es ist naheliegend, dass die beschriebenen Effekte auf gesellschaftlicher Ebene nur wirken können, wenn der Zivilgesellschaft die Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Perspektiven systematisch einzubringen, und gleichzeitig auf Qualitätskriterien geachtet wird. So ist es beispielsweise bedeutsam und herausfordernd zugleich, alle von einer Entscheidung betroffenen Personengruppen repräsentativ zu berücksichtigen. Wird diese Bedingung jedoch nicht erfüllt, besteht die Gefahr, Einzelinteressen – eher im Sinne der Lobbyarbeit – überproportional viel Gewicht zu geben.
„Gute Beteiligung“ ist demnach kein Selbstläufer und Beteiligung ebenso wenig Selbstzweck, denn: „Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Öffentlichkeitsbeteiligung ohne Ernsthaftigkeit und Qualität mehr schadet als nützt“ (Arbter 2009, S. 38). Die Nebenwirkungen reichen von Frustration über Vertrauensverlust in Politik und Verwaltung bis hin zur Verweigerung mitzuwirken und sich auch künftig zu engagieren (Arbter 2009).
Im Kontext von BNE können Sie mit guter Beteiligung einiges erreichen:
- die gesellschaftliche Relevanz von BNE steigern, indem Bedarfe betroffener Personen formuliert und berücksichtigt werden und sie an der Umsetzung von Maßnahmen beteiligt werden
- durch transparentes Vorgehen Entscheidungen nachvollziehbar machen und deren Legitimität steigern,
- das Wissen der Vielen und die lokale Expertise durch partizipative Verfahren mobilisieren,
- durch frühzeitige Einbindung in Planungs- und Entscheidungsprozesse Widerstände frühzeitig berücksichtigen und Akzeptanz, Verständnis sowie Vertrauen fördern,
- Interesse wecken und Menschen sowohl für Partizipation selbst als auch für (B)NE als Thema aktivieren.
(BMBF 2016)
Auch Kommunen haben wie Individuen einen Entwicklungsprozess zu durchlaufen und müssen qualitätssichernde Maßnahmen mit dem Ausbau von Möglichkeiten der Teilhabe kombinieren. Dies erfordert in der Regel eine grundlegend veränderte Kultur, wie Partizipation in Organisationen gelebt wird. Damit verbunden ist auch der Ausbau von Strukturen und Ressourcen, und es betrifft Aspekte der Personalentwicklung bzw. der Kompetenzentwicklung innerhalb der Organisationen. Nur so lässt sich der sinnvolle Einsatz und die Qualität von Partizipationsprozessen sicherstellen (Schwarz 2018).
Die Rolle und Bedeutung der Kommune im BNE-Partizipationsprozess
Nachhaltige Entwicklung und BNE brauchen Partizipation, aber wo besteht die Verbindung zu den Kommunen? BNE soll individuelle Verhaltensänderungen im Sinne eines nachhaltigen Handelns bewirken, die gemeinsam zu Veränderungen der Gesamtgesellschaft führen. Es ist daher plausibel, sich an Orten zu orientieren, an denen Leben und Alltag stattfinden. „Vor Ort“ werden Entscheidungen getroffen und dort sind Gründe für individuelles Handeln zu suchen. „Vor Ort“ ist die Kommune, hier ist die Nähe zur Lebenswelt der Bürger:innen gegeben, hier können lokale und regionale Aspekte und fachliche Expertise sinnvoll einfließen sowie Identifikation und Akzeptanz erzeugen. In der Kommune lernen die Menschen am besten, Entscheidungen zu beeinflussen und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu sammeln. Die beteiligten Personen sehen sowohl den Prozess als auch die direkten Ergebnisse vor Ort. Durch die unmittelbare Erfahrung können sie sich somit als gestaltendes Subjekt verstehen, das die direkte Umwelt im eigenen Sinne verändert.
Viele Kommunen setzen bereits erfolgreich Beteiligungsverfahren ein. Klassische Anwendungsgebiete hierfür sind beispielsweise Stadt-und Kreisentwicklungsprozesse. Bei Bauvorhaben sind Kommunen oftmals sogar zu partizipativen Verfahren verpflichtet. Die öffentliche Verwaltung verfügt in der Regel über Erfahrungen und Strukturen, die ein gutes Fundament darstellen können.
Im Kontext von nachhaltiger Entwicklung und BNE ist vielen Kommunen ihre Schlüsselrolle durchaus bewusst. Die Erhebungen des BNE-Kompetenzzentrums im Jahr 2022 haben gezeigt, dass fast die Hälfte der Modellkommunen Partizipation als Voraussetzung und Garant erfolgreicher Verankerung von BNE ansieht. Kommunen schätzen den eigenen BNE Entwicklungsstand höher ein, wenn Bürger:innen an der Weiterentwicklung von BNE beteiligt werden. Damit bestätigen sie die genannten Vorteile von Beteiligung. Klar ist aber auch, dass die aktuellen Beteiligungsmöglichkeiten in der Praxis nicht ausreichend sind.
Das Beteiligungsmodell der Partizipationspyramide
Das Lernen von nachhaltigem Handeln wird durch einen guten Beteiligungsprozess gefördert. Aber was gehört alles zu einem Beteiligungsprozess? Womit fängt man an? Grundsätzlich sollten Sie zu Beginn klären, wer verantwortlich ist, inwiefern eine Mitbestimmung möglich ist und was dabei förderlich oder hinderlich sein kann.
Das Modell der Partizipationspyramide (siehe Abb. 26 auf S. 114/115) veranschaulicht die partizipative Arbeit im Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und Institutionen (Straßburger/Rieger 2017). Es nennt die Art, die Formen und Methoden der Mitgestaltung und hilft Ihnen bei der Reflexion des eigenen Handelns. Zudem ermöglicht Ihnen die Darstellung, die Perspektiven der Bürger:innen sowie die der Institutionen gleichzeitig zu betrachten und dabei den eigenen Prozess innerhalb der Stufen zu verorten. Auf der linken Seite sehen Sie die institutionell- professionelle Perspektive (zum Beispiel die der kommunalen Verwaltung) und auf der rechten die Perspektive der Bürger:innen.
In diesem Modell wird zwischen Vorstufen und Stufen der Partizipation unterschieden. Bei den ersten drei Vorstufen von Beteiligung (Informationsfluss, Meinungsbildung und Stellungnahme) ist nicht gesichert, ob es überhaupt zu einer Einflussnahme auf die Entscheidung kommt. Der konkrete Einfluss hängt von der Bewertung der Ergebnisse des Partizipationsprozesses durch die Verantwortlichen ab. Die eigentliche Partizipation beginnt erst auf der vierten Ebene:
Hier werden die Bürger:innen von den Verantwortlichen direkt in die Entscheidungsfindung einbezogen und können mitbestimmen (Straßburger/Rieger 2014, S. 230 f.).
Die verschiedenen Ebenen der Partizipation stehen dabei in Beziehung zueinander. Sie skizzieren die mögliche Bandbreite der Beteiligung bis hin zu eigenständigen Entscheidungen durch die Bürger:innen (Straßburger/Rieger 2014). Für eine ideale strukturelle Verankerung von Partizipation gilt es, Regeln in Ihrer Institution zu entwickeln und klar festzulegen, wer unter welchen Bedingungen (mit)entscheiden kann. Dabei ist es wichtig, dass Sie alle Betroffenen einbeziehen, Entscheidungsprozesse nachvollziehbar und zugänglich gestalten sowie allen Arbeitsabläufen Zeit und Raum geben, um Mitbestimmung gewährleisten zu können (Straßburger/Rieger 2014, S. 236–240).
Wenn man nicht weiß warum, „(…) dann wird wahrscheinlich die Bereitschaft nicht da sein, auch da mitzumachen. (…) und wer dann letzten Endes die Entscheidungen trifft, das wird sich dann zeigen!“
Stimme aus einer kommunalen Bildungseinrichtung
Unsere Erhebungen in den untersuchten Modellkommunen zeigen, dass zum Zeitpunkt der Befragung die gezielte Sensibilisierung von Bürgerinnen und Bürgern beispielsweise für die Energie- und Mobilitätswende, die Biodiversität und den Klimaschutz bei den bereits ergriffenen Maßnahmen im Vordergrund stand. Gleichzeitig betonen die Befragten, dass es wichtig ist, Gründe für nachhaltiges Handeln zu vermitteln, um die Bedeutung von BNE und den damit verbundenen Nutzen klarzumachen.
Als Beteiligungsformate nannten die Befragten am häufigsten Zukunftswerkstätten, Netzwerktreffen, Stadtteilkonferenzen und einen Beteiligungsrat mit Vertreterinnen und Vertretern aus verschiedenen Bereichen (unter anderem aus der Verwaltung, von Fachstellen, BNE-Akteurinnen und -Akteure sowie Bürger:innen). Der Schwerpunkt dieser Formate lag auf dem Informationsfluss sowie der Meinungsbildung und Stellungnahme.
Keines dieser Formate lässt sich jedoch auf den Stufen der Partizipation (siehe Abb. 26) verorten, was die bereits erwähnten Entwicklungspotenziale auf der kommunalen Ebene deutlich macht. Dennoch haben diese Formate wichtige Funktionen und stellen wesentliche Voraussetzungen für die weiterführende Partizipation dar.

Wie gelingt Partizipation im BNE-Prozess?
Dass Partizipation essenziell für einen erfolgreichen BNE-Prozess ist, haben die bisherigen Ausführungen gezeigt. Die zentrale Frage lautet nun: Wie kann Beteiligung gelingen und welche Bedingungen gehen mit guter Beteiligung einher?
Zunächst sollten Sie sich mit den Rahmenbedingungen Ihrer Kommune und dem Gegenstand des Verfahrens auseinandersetzen. So stellt sich zu Beginn beispielsweise immer die Frage, ob ein partizipativer Prozess erwünscht ist und den nötigen Rückhalt in Politik und Verwaltung hat. Ist dies der Fall, überlegen Sie, ob das Thema relevant genug ist und verschiedene Standpunkte zulässt, die der Auseinandersetzung und eines Aushandlungsprozesses bedürfen. Dann lassen sich die Mehrwerte partizipativer Methoden ausschöpfen. Fehlt allerdings der Rückhalt, sollten Sie versuchen, ihn noch einzufordern, oder von der Umsetzung des Vorhabens absehen.
Die Beantwortung der Fragen im Abschnitt „Wie starten?“ (siehe S. 120) ermöglicht es Ihnen, einen partizipativen Prozess grundlegend zu konzipieren oder aber zu verwerfen, wenn die notwendigen Bedingungen nicht erfüllt sind. In den Antworten liegt der Schlüssel zu den Grundlagen von „guter Partizipation“.
An dieser Stelle möchten wir darauf hinweisen, dass ein komplex angelegter Partizipationsprozess mit intensiver Beteiligung nicht zwangsläufig zu guten Ergebnissen führt. Bei der Auswahl der Methode ist auf Ressourcen und Kapazitäten, aber auch auf die Zielgruppe zu achten. Darüber hinaus müssen sich auch das Thema und die grundsätzliche Möglichkeit der bürgerlichen Mitgestaltung im Prozess decken. Wenn ein umfassender Gestaltungsprozess zu einem Thema angeregt wird, das keine Relevanz für die Zielgruppe hat, oder nur Wünsche eingeholt werden, die nicht in Entscheidungen einfließen, kann das zu Motivationsverlust und Frustration bei den Beteiligten führen.
Eine weitere Bedingung für das Gelingen von Partizipationsprozessen ist die grundsätzliche Bereitschaft der Beteiligten zum Dialog. Darunter ist zunächst eine wertschätzende Grundhaltung, unabhängig von Inhalten und Standpunkten in der Auseinandersetzung, zu verstehen. Dies kann in Form von Regeln festgehalten werden (Berlin Institut für Partizipation 2021). Darüber hinaus sind die gesellschaftliche Relevanz des Themas, das Wissen darüber und die Berücksichtigung der individuellen Rahmenbedingungen der Beteiligten von großer Wichtigkeit. Hierfür sollten Sie zunächst eine genaue Analyse der Themen, der Ausgangsbedingungen und der agierenden Gruppen durchführen und die Möglichkeiten für die Umsetzung als konkretes Beteiligungsformat (Zeit, Ort, Methode) prüfen (BMBF 2016).
Im Anschluss an diese Analyse müssen klare Ziele formuliert und Gestaltungsspielräume im Verlauf des Verfahrens festgelegt werden. Checklisten können Sie dabei unterstützen, diese Punkte auszugestalten und umzusetzen (siehe „Beispiel aus der Praxis – Bürgerrat und Bürgergutachten", S. 119). Im Sinne des Erwartungsmanagements und um Frustration bei den Teilnehmenden zu vermeiden, ist die transparente Kommunikation aller Aspekte sowohl nach innen als auch nach außen unabdingbar. Sprechen Sie über die Gründe für die Auswahl von Vorschlägen und begründen Sie, warum Themen nicht mit in den Prozess aufgenommen wurden (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011).
Um das Wissen und die Kompetenzen der Beteiligten möglichst gewinnbringend einzubeziehen, sollten diese frühzeitig in den Prozess eingebunden werden (Berlin Institut für Partizipation 2021). Ein guter Partizipationsprozess zeichnet sich durch eine Vielzahl an Perspektiven und Meinungen aus. Das sollten Sie bei der Ansprache und Auswahl der Personen, die bete ligt werden sollen, bedenken. Auch der Moderation des Prozesses kommt eine hohe Verantwortung zu. Es gilt, Neutralität zu wahren sowie Akzeptanz und Vertrauen trotz Unterschiedlichkeit zu fördern.
Um einen vertrauensvollen Umgang unter den Agierenden zu gewährleisten, sollten für die Teilnehmenden relevante Apekte transparent kommuniziert oder in Form von Regeln bzw. Vereinbarungen für den Prozess festgehalten werden (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011). Eine kontinuierliche Reflexion und Evaluation führen zu einer stetigen Verbesserung des Prozesses. Sie sorgen auch dafür, dass Missverständnisse und Unmut schnell bearbeitet werden können, damit diese den weiteren Prozess nicht behindern (Berlin Institut für Partizipation 2021). Außerdem sollten die Kosten und der Aufwand für die Bürger:innen, die sich engagieren, so niedrig wie möglich sein, um kein Hindernis für die Beteiligung darzustellen.
Eine anerkannte Form der projektbezogenen Betei ligung von Bürgerinnen und Bürgern, die wir Ihnen aus der Vielfalt an Möglichkeiten vorstellen wollen, sind die Bürgerräte, die in der Praxis oft auch Planungszellen genannt werden. Streng genommen sollte der Bürgerrat in seiner Zusammensetzung repräsentativ für die Bevölkerung sein, während für die Planungszelle die Zufallsauswahl aus den Einwohnermeldedaten genügt. Viele Kommunen haben mit dieser Methode bereits positive Erfahrungen gemacht, die auch im Kontext von Bildung für nachhaltige Entwicklung bedeutsam sein können.
Bürgerräte erarbeiten Vorschläge, die in Form von sogenannten Bürgergutachten in einem strukturierten Verfahren in Entscheidungsprozesse einfließen. Ziel ist es, dass die Vielfalt an Perspektiven, Erfahrungen, Meinungen und Kompetenzen zu besseren Ergebnissen führt.
Wie Sie ein solches Verfahren planen und gestalten können, möchten wir im Folgenden anhand eines schematischen Ablaufs darstellen und mit einem Beispiel aus der Stadt Freiburg illustrieren. Dabei soll es weniger um die konkrete Ausgestaltung oder um die Frage nach den damit verknüpften Ressourcen und dem Aufwand gehen als vielmehr darum, Ihnen einen Überblick über die notwendigen Schritte zu geben.
So planen und gestalten Sie einen Bürgerrat:
- Planung und Vorbereitung: Bestimmen Sie das Thema und prüfen Sie, ob es sich für dieses Verfahren eignet (siehe auch Abschnitt „Wie starten?“). Dann ermitteln Sie die Teilnehmenden per Losverfahren und verschicken eine Einladung mit Informationen über das Vorhaben.
- Treffen und Arbeit des Bürgerrates: Die Teilnehmenden erhalten alle nötigen Informationen und ausreichend Zeit für die Bearbeitung im Verlauf der Treffen. Anschließend werden unter neutraler Moderation zum Beispiel in Kleingruppen Ideen und Fragen erarbeitet, die später zu Handlungsempfehlungen zusammengeführt werden.
- Übergabe und Nutzung der Ergebnisse bzw. Empfehlungen: Die Teilnehmenden des Bürgerrates fassen ihre Empfehlungen in einem Gutachten zusammen und übergeben dieses an die politischen Gremien. Dort werden die Empfehlungen diskutiert und schließlich angenommen oder abgelehnt.
- Abschluss: Sie informieren die Beteiligten darüber, aus welchen Gründen die Kommune in welcher Weise mit den Empfehlungen verfahren wird.
Beispiel aus der Praxis - Bürgerrat und Bürgergutachten
STADT FREIBURG
Gutachten des Bürgerrates
Ein Beispiel für die gelungene Umsetzung eines Bürgerrates bzw. einer Planungszelle ist das „Bürgerinnengutachten zur Bildung für nachhaltige Entwicklung für die Stadt Freiburg“. In diesem Gutachten heißt es: „Wie erziehen wir uns selber, uns gegenseitig, zu nachhaltigerem Handeln? (...) Kann man Menschen fragen, wie sie selbst gern zu mehr Nachhaltigkeit ‚erzogen‘ werden wollen? Ja, dieses Bürgerinnengutachten zeigt es“ (Gesellschaft für Bürgergutachten 2021, S. 4 ).27
Das Gutachten des Bürgerrates für die Stadt Freiburg bietet ein verbessertes Verständnis, was Nachhaltigkeit und BNE für die Bürger:innen bedeuten. Zudem charakterisiert es verschiedene Rollen im BNE-Prozess, wie die der Kommunalverwaltung, und gibt konkrete Empfehlungen. Mithilfe professioneller Unterstützung durch die Gesellschaft für Bürgergutachten wurden eine intensive Auseinandersetzung und Beteiligung von über 100 zufällig ausgewählten Personen ermöglicht. Die Teilnahme wurde den Betreffenden so leicht wie möglich gemacht, und die individuellen Kosten sollten so gering wie möglich ausfallen. So wurden in Freiburg beispielsweise Fahrdienste und Kinderbetreuung während der Treffen angeboten. Im Sinne der Wertschätzung erhielten die Bürgerinnen und Bürger des Rates eine Aufwandsentschädigung. Berufstätige Personen hatten zudem die Möglichkeit, Bildungsurlaub für das Verfahren zu nehmen. Insgesamt nahm die Arbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern vier volle Arbeitstage in Anspruch.
Alle Teilnehmenden wurden in vier getrennten Gruppen mit jeweils etwa 25 Personen von Expertinnen und Experten auf den Prozess vorbereitet und mit Informationen versorgt, sodass sie über das nötige Wissen für eine kompetente Teilnahme verfügten. Mehrere Gruppen durchliefen dabei die gleichen Themen und Arbeitsschritte, um zufällige Einflüsse und Verzerrungen zu minimieren. Eine neutrale und unabhängige Organisation und Moderation stellten hierbei ein zentrales Element dar und waren Grundlage, um die freie Meinungsbildung der einzelnen Teilnehmenden zu erleichtern und eine fruchtbare Diskussion zu gewährleisten. Auch eine Frage- und Antwortrunde mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommunalpolitik, die sogenannte Politikanhörung, ist Teil des Prozesses gewesen.
Über den Ablauf des Partizipationsprozesses bestand von Anfang an vollständige Transparenz. Sämtliche erarbeitete Empfehlungen werden im Gutachten offen kommuniziert. Bereits zu Beginn wurden die Teilnehmenden darüber informiert, dass die Arbeitsergebnisse des Bürgerrats allerdings nicht verbindlich sind für Politik und Verwaltung. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sie ihre Wirkung entfalten, „da sie (…) von Politik und Verwaltung in Auftrag gegeben worden sind“ (Gesellschaft für Bürgergutachten 2021, S. 14).
Im Verlauf des Verfahrens wurde das Thema (B)NE stark konkretisiert und auch regionalisiert, was einen erheblichen Mehrwert für die Verwaltung darstellt. Es eröffnet sich so die Möglichkeit, ein Verständnis des BNE-Begriffs inklusive der Entwicklungsperspektiven auf Basis der Meinungen und Erfahrungen der Bürger:innen für die Freiburger Bildungslandschaft zu entwickeln. Die abschließenden Empfehlungen des Bürgerrats umfassen in elf Oberkategorien verschiedene Vorhaben, die als zentral für die Nachhaltigkeitsbildung in der Stadt Freiburg identifiziert, gewichtet und ausdifferenziert wurden. Die aufbereiteten Ergebnisse und Handlungsempfehlungen können nun sowohl systematisch in strategische und bildungsbezogene Fragen der Stadtentwicklung einfließen als auch Impulse für konkrete Kooperationen und Projekte geben.
Mit diesem Beispiel aus Freiburg möchten wir Sie allerdings weniger dazu anregen, das Vorhaben an sich zu wiederholen, sondern vielmehr das planvolle Vorgehen in jeder Phase des Prozesses veranschaulichen. Eine solche Vorgehensweise ist letztlich auch entscheidend für die Qualität der Ergebnisse. Die eng damit verknüpfte individuelle Erfahrung im Prozessverlauf hat nicht zuletzt großen Einfluss auf die Motivation der beteiligten Bürger:innen sowie auf die Akteurinnen und Akteure der Bildungslandschaft, die mit den Ergebnissen weiterarbeiten.
Die dargestellten Grundsätze der Ausgestaltung partizipativer Verfahren lassen sich auch auf andere Methoden übertragen. Mit veränderten Rahmenbedingungen gehen dann entsprechende Anpassungen bei der konkreten Umsetzung einher.
Wie starten?
Abschließend möchten wir noch einmal betonen, dass ein planvoller Start mit realistischen Zielen und Erwartungen gewinnbringender für den Partizipationsprozess ist, als sich zu ambitionierte Ziele zu setzen, die letztlich unerreicht bleiben und die Erwartungen aller Beteiligten verfehlen.
Die folgenden Hinweise und Materialien sollen Ihnen den Einstieg in die Thematik erleichtern und die Möglichkeit geben, den Prozess in einzelne Teilschritte zum Testen und Ausprobieren aufzugliedern. Hierbei steht vor allem im Mittelpunkt: Probieren Sie sich aus, machen Sie kleine Schritte – viel Spaß dabei!
Zentrale Fragen für die Planung Ihres BNE-Partizipationsprozesses:
- Sind Bürger:innen (oder Interessengruppen) betroffen?
Ist kein Bezug gegeben, ist eine Einbindung nicht notwendig. - Hat der Partizipationsprozess die Unterstützung der Politik und Verwaltung?
Falls nicht, sollten Sie von der Umsetzung absehen oder für Unterstützung werben. - Ist das Thema für einen Partizipationsprozess geeignet?
Das Thema sollte kontrovers sein, und es sollte ausreichend Gestaltungsspielraum vorhanden sein. - Stehen finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung?
Falls nicht, sollten Sie versuchen, diese unter Berufung auf das Commitment von Politik und Verwaltung einzufordern, oder von der Umsetzung absehen. - Ist das Ziel des Partizipationsprozesses bekannt bzw. welche Partizipationsstufe ist möglich?
Aus der Kombination von Ressourcen und Zielen resultieren Ihre Möglichkeiten bei der Umsetzung im Hinblick auf Zielgruppen und Methodik. - Wie wird mit den Ergebnissen umgegangen?
Sie sollten klar kommunizieren, wie die Kommune mit den Ergebnissen verfahren wird.
Zum Weiterlesen
Angesichts der verschiedenen Ebenen des Themas, des breiten Spektrums an Methoden und der Vielfalt an interessanten und hilfreichen Materialien möchten wir keine einzelne Arbeits- und Reflexionshilfe ausführlich darstellen, sondern Ihnen vie mehr eine Auswahl unterschiedlicher Instrumente empfehlen, die an dieser Stelle lediglich kurz beschrieben werden.
Materialsammlung: Die Sammlung der Bertelsmann Stiftung vermittelt Ihnen einen tieferen Einblick in viele Aspekte von Partizipation, die hier nur angerissen werden konnten. Zum Beispiel erhalten Sie Informationen zu Formen und Verfahren von Bürgerbeteiligung:
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2016): Grundlagen der Bürgerbeteiligung. Materialsammlung für die Allianz Vielfältige Demokratie. Gütersloh
Checklisten: Den Einsatz von Checklisten möchten wir Ihnen dringend ans Herz legen. Sie erleichtern den Überblick über die Planung und Konzeption eines Partizipationsprozesses vom Anfang bis zum Ende. Gleichzeitig sind Checklisten ein qualitätssicherndes Instrument. Hilfreiche Listen stellt das österreichische Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie zur Verfügung:
https://partizipation.at/
Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung: Mit Blick auf die Entwicklung von Organisationen haben sich insgesamt im kommunalen Kontext politisch verabschiedete Qualitätskataloge für Beteiligungsprozesse als wirksames Mittel erwiesen. Diese können Sie nutzen, um Mindeststandards zu etablieren und somit die Qualität zu sichern:
https://partizipation.at/partizipation-verstehen/prinzipien-der-beteiligung/standards-fuer-beteiligung/

Lesen Sie diesen und weitere Texte in unserem Praxishandbuch
Literatur
Arbter, Kerstin (2009): Öffentlichkeitsbeteiligung ja, aber wie? Standards für qualitätsvolle Beteiligungsprozesse. In: Journal of Democracy, 1. Jg., H. 1, S. 30–39
Berlin Institut für Partizipation (Hrsg.) (2021): Transformation und Partizipation. Berlin
BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.) (2016): Grundsatzpapier des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Partizipation. Berlin
Gesellschaft für Bürgergutachten (Hrsg.) (2021): Bürgerinnengutachten zur Bildung für nachhaltige Entwicklung für die Stadt Freiburg. München
Rieckmann, Marco (2021): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ziele, didaktische Prinzipien und Methoden. In: Merz – Zeitschrift für Medienpädagogik, 65. Jg., H. 04, S. 10–17
Rieckmann, Marco/Stoltenberg, Ute (2011): Partizipation als zentrales Element von Bildung für ei ne nachhaltigeEntwicklung. In: Heinrichs, Harald/Kuhn, Katina/Newig, Jens (Hrsg.): Nachhaltige Gesellschaft. Welche Rolle fürPartizipation und Kooperation? Wiesbaden, S. 117–131
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin (Hrsg.) (2011): Handbuch zur Partizipation. Berlin
Straßburger, Gaby/Rieger, Judith (Hrsg.) (2014): Partizipation kompakt. Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe. 2. Aufl. Weinheim/Basel
Links
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2016): Grundlagen der Bürgerbeteiligung. Materialsammlung für die Allianz Vielfältige Demokratie. Gütersloh. https://www.bertelsmann-
stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Vielfaeltige_Demokratie_gestalten/Materialsammlung_Buergerbeteiligung.pdf (15.02.23)
Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (2023): Teilhaben und wirksam werden. Wien. https://partizipation.at/ (15.02.23)
Schwarz, Christine (2018): Die Verwaltung zur Beteiligung befähigen. Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin. https://www.boell.de/de/2018/03/14/die-verwaltung-zur-beteiligung-bef%C3%A4higen (15.11.2022)
Straßburger, Gaby/Rieger, Judith (2017): Die Partizipationspyramide von Straßburger und Rieger.
www.partizipationspyramide.de (15.11.2022)
Wegner, Martina (2014): Engagement und Partizipation. In: eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft, Nr. 24 vom 05.12.2014, S. 1–8. https://www.buergergesellschaft.de/fileadmin/pdf/gastbei trag_wegner_141205.pdf (16.02.2023)