Elisabeth Liebau, Anja Osiander und Susanne Tübel und Eindrücke vom Auftaktworkshop

Raus aus der Nische – Die Agenda 2030 und Lebenslanges Lernen in Dresden

Ein Gespräch mit Elisabeth Liebau, Anja Osiander und Susanne Tübel 

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist in Deutschland mittlerweile flächendeckend in Leitlinien zur Bildungspolitik und in Bildungsplänen verankert. Das hat das Institut Futur als die für das nationale BNE-Monitoring zuständige Stelle im Jahr 2023 in einer Studie festgestellt. Im Bildungsalltag angekommen ist das Thema damit aber noch nicht. Welchen Ansatz hat man in Dresden gewählt, um das zu ändern?

Anja Osiander: In Dresden haben wir dank der Förderung durch die BMBF-Programme für kommunale Bildungslandschaften seit 2009 ein Monitoring auf hohem Niveau aufbauen können. Das wiederum bildet die Grundlage für strategische Beschlüsse, etwa zur Stärkung von Kitas und zum Aufbau von Familienschulzentren in sozial belasteten Nachbarschaften. Als jüngstes Ergebnis dieser Entwicklung ist aus einem Auftrag des Stadtrats und einem Beteiligungsprozess ein Gesamtkonzept Lebenslanges Lernen in Dresden entstanden. Dieses Konzept verweist ausdrücklich auf die Agenda 2030 als Leitlinie für zukunftsgerechtes Lernen. Auch in verschiedenen Grundsatzbeschlüssen der UNESCO werden lebenslanges Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung zusammengedacht. Also haben wir uns gefragt: Wie sollte die Bildungslandschaft in Dresden aussehen, wenn man das mal konkret und lebensweltlich weiterdenkt? Unsere Antwort: Verbindendes Lernen! Dahinter verbirgt sich ein dreigliedriges Konzept:

1. Lernangebote weiterentwickeln (WIE?) – Chancen, dass Lernende zu Zukunftsgestalterinnen und -gestaltern werden erhöhen

2. Lerngemeinschaften stärken (WER?) –  Akteurinnen und Akteure formaler und non-formaler Bildung zusammenbringen

3. Lernorte umgestalten (WO?) – Nachbarschaften, mit Schulen als Ankerpunkt, zu Lernräumen entwickeln 

Wie ist das Konzept des „Verbindenden Lernens“ entstanden, und was ist damit gemeint?

Anja Osiander: Zur Steuerung unseres Projekts setzen wir den Ansatz der wirkungsorientierten Planung der Aktion Mensch ein. Dieser Ansatz betont den Perspektivwechsel, indem gefragt wird: Wie stellt sich ein Problem aus der Sicht der Betroffenen dar? Unsere Zielgruppe, also unsere „Betroffenen“, sind die Bildungsakteure in Dresden. Wie kann die Fachdebatte zu Bildung für nachhaltige Entwicklung für sie relevant werden? Allgemeine Anforderungen für eine Antwort sind: Das Konzept soll allgemein verständlich sein, und es soll vielfältige Anschlussmöglichkeiten bieten. 

Susanne Tübel: Wenn man sowohl die ökologische als auch die ökonomische und soziale Dimension berücksichtigen will, stellt man fest, dass Nachhaltigkeit immer an der Zukunft ausgerichtet ist. Für das Projekt DD-Lena lässt sich das auf die Kernfrage zuspitzen, welche Bedingungen es für zukunftsgerechtes Lernen in Dresden braucht. Aus unserer Sicht gibt der Ansatz „Verbindenden Lernens“ darauf eine gute Antwort. 

Erstens beantwortet er die Frage nach dem „WIE?“ des Lernens: Lernen ist dann nachhaltig im Sinne von zukunftsorientiert, wenn sowohl Wissen und Kompetenzen, praktisches Tun und Emotionen miteinander verknüpft sind. Es verbindet verschiedene Perspektiven und ist inklusiv, d.h. partizipativ gestaltet, an den Bedürfnissen unterschiedlichen Lerngruppen ausgerichtet und lebenslang wichtig. 

Verbindendes Lernen beantwortet aber auch die Frage nach dem „WER?“ und „MIT WEM?“. Eine aktive Lerngemeinschaft aus formalen und nonformalen Bildungsakteuren sowie den Lernenden selbst bildet den Kern. 

Drittens beantwortet „Verbindendes Lernen“ die Frage nach dem „WO?“. Lernen findet im Sozialraum statt, welcher neben geografischen und infrastrukturellen Bedingungen vielfältige darin eingeschriebene soziale und symbolische Bezüge enthält. Verbindendes Lernen denkt die sozialräumlichen Bezüge in, um und mit Schulen als wichtigen Ankerpunkten im Sozialraum mit. 

Damit lassen wir die Frage nach dem „Was?“ ganz bewusst offen. Verbindendes Lernen ist offen für die unterschiedlichsten Themen. Anstelle das WAS vorzugeben, geht es eher darum, durch verbindendes Lernen eine Kultur der Nachhaltigkeit zu schaffen. Dies schließt die Bereitschaft für Veränderungen genauso ein wie die Orientierung an einer langfristigen Perspektive.

Was ist bisher im Projekt geschehen?

Elisabeth Liebau: Das erste halbe Jahr des Projektes diente vor allem der Erkundung und der Eingrenzung der Zielgruppen sowie der systematischen Wirkungsplanung im Projekt. Wir haben dafür zunächst eine Auftaktbefragung entworfen, die aus mehreren Teilen bestand: Erstens einer quantitativen Befragung aller Bildungsakteure in Dresden, zweitens vertiefenden Fokusgruppen- und Einzelgesprächen mit den Zielgruppen Schulen und non-formalen Bildungsakteuren und drittens Expertengesprächen mit BNE-Akteuren aus Kommunen weltweit. 

Parallel haben wir die fortlaufende Wirkungsplanung zu unserem Projekt vorangetrieben. Dabei ging es nicht nur um die Unterstützung der Zielgruppen in der Erarbeitung konkreter Bildungsangebote, sondern auch um die Veränderung von Strukturen. Unsere Auftaktkonferenz am 29. April 2025 schloss diese erste Phase der Erkundung im Projekt ab. Sie bildete zugleich den Startschuss für die konkrete Arbeit in den drei Modulen Monitoring, Vernetzung und Organisationsentwicklung.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Auftaktbefragung?

Elisabeth Liebau: Der quantitativ angelegte Befragungsteil von Akteurinnen aus allen Bildungsbereichen hat z. B. ergeben, dass nur wenige Bildungsakteurinnen (fünf Prozent) im Detail mit den Zielen der Agenda 2030 vertraut sind. Auch ist der Whole Institution Ansatz recht unbekannt (2/3 kennen den Ansatz nicht) und findet vor allem im schulischen Bereich (in jeder 5.-6. allgemeinbildenden oder beruflichen Institution) Anwendung. Es besteht darüber hinaus eine deutliche Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Bedeutung von Zusammenarbeit mit externen Partnern und der konkreten Umsetzung solch einer Kooperation. So wird der Zusammenarbeit mit Akteurinnen außerhalb der Einrichtung für die eigene Bildungsarbeit mit gut 80% eine hohe oder eher hohe Bedeutung zugesprochen, ein gemeinsames Bildungsangebot wurde hingegen in den letzten zwei Jahren nur von 54 Prozent realisiert. 

Susanne Tübel: Die Fokusgruppen mit schulischen Akteuren haben ergeben, dass es für das Modul Organisationsentwicklung zwei große Teilbereiche gibt. Erstens geht es um die Unterstützung der Schulgemeinschaften bei der Entwicklung und Umsetzung konkreter Maßnahmen im Bereich der Nachhaltigkeit. Dafür wünschen sich die Schulen möglichst anwendungsbereites Wissen, Instrumente, die niedrigschwellig zur Verfügung stehen, und Gelegenheit für Austausch und Vernetzung. Damit diese Einzelmaßnahmen jedoch nachhaltig wirksam sind, muss die Organisationsentwicklung aber auch auf der Ebene der Strukturen angegangen werden. Das betrifft die Bereiche Steuerung und Führung, Kommunikation und Personalentwicklung. Hier ist auch der Schulträger gemeinsam mit den Behörden auf Landesebene in der Verantwortung, die Leitplanken für eine professionell-strategische Organisationsentwicklung vorzugeben. Durch die Arbeit mit dem Whole Institution Ansatz sollen diese verschiedenen Dimensionen berücksichtigt und auf eine organisationale Kultur der Nachhaltigkeit in Schulen hingewirkt werden.

Anja Osiander: Im Bereich der nonformalen Bildung zeichnet sich nach der Auftaktbefragung sehr deutlich ab, wie sehr die strategische Entwicklung von Akteuren und Angeboten darunter leidet, dass die Finanzierung nicht nachhaltig angelegt ist. Das stellt die strategische Umgestaltung von Orten des nonformalen Lernen im Sinne des Whole Institution Ansatzes vor besondere Herausforderungen. Gleichzeitig stoßen erste Angebote für Vernetzung im Rahmen des Projekts nach dem Prinzip „Nähe hilft“, also stadtteilbezogen, auf großes Interesse. Die Akteure sowohl in den Schulen als auch aus dem Bereich der nonformalen Bildung wünschen sich eine Schnittstelle in der Verwaltung, die Qualität sicherstellt und Abläufe vereinfacht, und sie wünschen sich kurze Wege für die Anbahnung von gemeinsamen Angeboten.

Was folgt jetzt konkret für das Vorgehen in den einzelnen Projektmodulen?

EL: In Modul Monitoring ist geplant, entlang der Verantwortung der Kommune als Träger von Bildungseinrichtungen aus dem formalen und nonformalen Bereich (wie z.B. Kitas, Schulen und Bibliotheken) ein Monitoring aufzuziehen, das prozessproduzierte Daten dieser Einrichtungen aufbereitet. Dabei wird das Ziel verfolgt, das bestehende Bildungsmonitoring der Stadt Dresden um die Aspekte Bildung nachhaltiger Entwicklung und Lebenslanges Lernen zu erweitern. Konkret wird aufgrund bereits bestehender Interessen in der Stadtverwaltung und des gegebenen einfachen Zugangs zu Daten (Beteiligung des Amts für Schulen im Projekt) mit der Gestaltung von Schulaußengeländen begonnen. Hier stehen Indikatoren zur Versiegelung, Begrünung von Fassaden und Dachflächen und Verschattung durch Bäume, sowie die Existenz eines Schulgartens im Vordergrund.

AO: Im Modul Vernetzung wollen wir weitere Vernetzungstreffen in verschiedenen Teilen der Stadt anbieten. Außerdem sollen verschiedene digitale Werkzeuge entstehen, welche die Zusammenarbeit in den Lernräumen/Nachbarschaften erleichtern: eine Datenbank der Akteure, eine kollaborative Plattform. Die Aushandlung neuer Strukturen für die Finanzierung zukunftsgerechten Lernens kristallisiert sich unter anderem in der Erarbeitung einer neuen kommunalen Förderrichtlinie.

ST: Im Modul Organisationsentwicklung starten wir mit der Bildung von Energieteams an den städtischen Schulen Dresdens. Die ab der Heizperiode 2025/2026 eingesparten Kosten beim Wärmeverbrauch sollen sowohl dem Projekt als auch den Schulbudgets der einzelnen Schulen zu Gute kommen. Diese sehr konkrete Maßnahme ist für uns eine Gelegenheit mit den Schulgemeinschaften ins Arbeiten zu kommen, schnell messbare Erfolge zu generieren und so niedrigschwellig das Thema BNE im Schulalltag zu verankern. Ab dem nächsten Jahr sollen die Energieteams zu Lena-Teams ausgebaut werden, die sich selbst eigene Ziele setzen und dazu Maßnahmen entwickeln. Dies kann vom Thema Müll über Hitzeschutz bis hin zur Umgestaltung der Schulaußenanlagen oder Projekten zur Schulhoföffnung gehen. 

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Foto von Elisabeth Liebau, Anja Osiander und Susanne Tübel

Elisabeth Liebau, Anja Osiander und Susanne Tübel

Projektmitarbeiterinnen „DD-Lena: Dresden lernt nachhaltig“ | Stadt Dresden
| Thomas Schwab