Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) als internationales (vgl. UNESCO/DUK 2021) und nationales (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017) (bildungs-)politisches Programm ruft eine Vielzahl von gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren zum gemeinsamen Handeln auf. Ziel ist es, bis 2030 allen Menschen den Erwerb der „notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung“ (United Nations 2015, S. 18) zu ermöglichen. Doch wie muss ein Bildungsangebot aussehen, damit Lernende die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen für eine nachhaltige Entwicklung erwerben können? Oder anders gefragt: Was charakterisiert ein BNE-Bildungsangebot? Diese pädagogische Frage ist auch für die bildungsplanerischen und -politischen Akteurinnen und Akteure in den Kommunen nicht unwichtig. Sollen Bestandserhebungen durchgeführt, Lücken identifiziert, Förderungen ausgeschrieben und Qualitätskontrollen durchgeführt werden, muss zumindest grundsätzlich geklärt sein, was gezählt, gefördert oder als qualitativ hochwertig bewertet werden soll.
Ausgangspunkt einer Bildung für nachhaltige Entwicklung ist die Überlegung, dass nachhaltige Entwicklung ein Prozess und kein Zustand ist (vgl. Text: Was ist nachhaltige Entwicklung?). Was es konkret bedeutet, so zu handeln, dass die Bedürfnisse der heutigen Generation auf unserem Planeten befriedigt werden können, „ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können" (Hauff 1987, S. 47), muss daher immer wieder neu bestimmt und gemeinsam ausgehandelt werden. Es handelt sich also um einen „gesellschaftliche[n] Lern-, Verständigungs- und Gestaltungsprozess, der erst durch die Beteiligung möglichst Vieler mit Ideen und Visionen gefüllt und vorangetrieben werden kann“ (Rieckmann 2021, S. 10). Menschen für diesen Prozess zu befähigen, ist das zentrale Anliegen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es kann also nicht nur darum gehen, Wissen über Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung zu vermitteln, sondern auch darum, Kompetenzen zu ermöglichen, um „an der zukunftsfähigen Gestaltung der Weltgesellschaft aktiv und verantwortungsvoll mitzuwirken und im eigenen Lebensumfeld einen Beitrag zu einer gerechten und umweltverträglichen Weltentwicklung leisten zu können“ (de Haan 2002, S. 14/15).
Wie aber muss ein solches Bildungsangebot aussehen, damit die angestrebten Bildungsziele erreicht werden können?
Um es vorweg zu nehmen, diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Zu viele Faktoren spielen bei der Gestaltung von Bildungsangeboten eine Rolle: die Zielgruppe, die vorhandenen Strukturen und Bedarfe, die verfügbaren Ressourcen etc. Dennoch gibt es einige Grundprinzipien, die bei der Identifizierung und Gestaltung helfen können. Denn nicht überall, wo BNE draufsteht, ist auch BNE drin, und auch wenn BNE nicht draufsteht, wird vielleicht BNE umgesetzt.
BNE-Bildungsangebote
Mittlerweile gibt es verschiedene Konzepte zur Charakterisierung von BNE-Bildungsangeboten (vgl. z.B. Künzli David/Kaufmann-Hayoz 2008; Rieckmann 2021). Vier Prinzipien werden neben anderen immer wieder genannt:
- Lernen von Zusammenhängen (vernetzendes Lernen),
- der Fokus auf die Entwicklung von positiven Visionen (Visionsorientierung),
- die Ermöglichung des Erwerbs von Kompetenzen (Handlungs- und Reflexionsorientierung)
- sowie die Ermöglichung von Mitgestaltung durch die Lernenden (Partizipationsorientierung).
Vernetzendes Lernen
Nachhaltige Entwicklung ist nur möglich, wenn die Bereiche Soziales, Kultur, Ökologie und Ökonomie zusammen gedacht und behandelt werden (vgl. Was ist nachhaltige Entwicklung?). Veränderungen in einem Bereich haben oft Auswirkungen in einem anderen Bereich. Erst die Thematisierung solcher Zusammenhänge und möglicher Zielkonflikte ermöglicht vernetztes Lernen. Komplexes muss komplex behandelt werden. Gleiches gilt in Hinblick auf die Auswirkungen heutiger Entscheidungen und Geschehnissen auf künftige Generationen, sowie auf die derzeitige Generation in anderen Regionen der Erde. Im Kern geht es um die Fähigkeit zur Analyse hochkomplexer Zusammenhänge.
Visionsorientierung
Trotz aller aktuellen Probleme, Krisen und Dilemmata ist die Grundidee der nachhaltigen Entwicklung eine optimistische. Eine bessere Welt für alle heute und in Zukunft ist möglich. Dazu ist es notwendig, handlungsleitende Visionen einer positiven Zukunft zu entwickeln. Visionen zu entwickeln, die Problemlagen nicht einfach ausblenden, erfordert kreatives und innovatives Denken. Dieses kann nicht einfach als Wissen vermittelt, sondern nur in der aktiven Auseinandersetzung mit Inhalten erworben werden. Damit Visionen auch handlungsleitend werden können, müssen sie auf konkrete Handlungen bezogen und vor allem kollektiv geteilt werden. Während es beim vernetzten Lernen um die Beantwortung der Frage „Wie ist etwas?“ geht, steht bei der Orientierung an Visionen die Frage „Wie soll etwas sein?“ im Vordergrund.
Handlungs- und Reflexionsorientierung
Eine gemeinsame Vision kann aber nur entstehen, wenn sich die Beteiligten über ihre jeweiligen Sichtweisen abstimmen und verständigen. Was sind die Werte und Denkweisen der anderen und vor allem, was sind die eigenen Werte und Denkweisen? Diese Überlegungen müssen mit der Entwicklung möglicher Handlungsoptionen verbunden werden. Wie lassen sich die unterschiedlichen Ziele und Werte verbinden und in konkretes Handeln für eine nachhaltige Entwicklung umsetzen? Damit steht dieser Aspekt in direktem Zusammenhang mit der Partizipationsorientierung.
Partizipationsorientierung
Wesentlicher Kern von Partizipation ist die Interaktion und der Informationsaustausch. Nur über diese Prozesse ist es den Beteiligten möglich auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen und kollektive Entscheidungen zu treffen. Erst wenn die Beteiligten an Entscheidungen real beteiligt werden, kann auch erwartet werden, dass diese die Folgen der Entscheidungen mittragen (vgl. Künzli David/Kaufmann-Hayoz 2008). Sich aktiv und konstruktiv einzubringen, ist eine Kompetenz, die nur über Handlungen erlangt werden kann. Somit ist es wesentlich, Möglichkeiten und Räume für Partizipation und Beteiligung bereitzustellen. Dies betrifft aktivierende Methoden wie z.B. Service-Learning-Projekte, Zukunftswerkstätten, Fish-Bowl-Diskussionen, forschendes Lernen, Systemspiele usw. (vgl. Rieckmann 2021, S. 14) innerhalb der Lernsituation. Aber auch die Lernsituation selbst bietet Partizipationsmöglichkeiten, wenn die Betreffenden an der inhaltlichen, methodischen und didaktischen Gestaltung beteiligt werden.
Entwicklung von BNE-Bildungsangeboten
Vergleicht man diese Prinzipien von Bildung für nachhaltige Entwicklung mit der Realität von Bildungsangeboten, wird man feststellen, dass gemessen an der Gesamtzahl, nur wenige Bildungsangebote all diese Kriterien erfüllen, aber sich eine Großzahl an Bildungsangeboten finden lässt, die Teilaspekte von BNE beinhalten. Wir schlagen an dieser Stelle eine Differenzierung zwischen BNE-Bildungsangeboten und Bildungsangeboten im Feld von BNE vor. Dies hat nicht zum Ziel Bildungsangebote besser oder schlechter zu bewerten. Viele Bildungsangebote verfolgen andere berechtigte Bildungsziele. Vielmehr geht es darum, das Augenmerk auf potenzielle Entwicklungsmöglichkeiten und Synergien zu lenken.
Um zu veranschaulichen, wie fruchtbar eine solche Hintergrundfolie für die Evaluierung und Entwicklung von Bildungsangeboten in Bezug auf BNE sein kann, hier ein kleines Beispiel.
Eine reine Infoveranstaltung zur korrekten Mülltrennung wäre vor dem Hintergrund des bisher Ausgeführten noch kein BNE-Bildungsangebot. Es wäre aber definitiv ein Bildungsangebot im Feld von BNE.
Erst eine Thematisierung weiterer Fragen macht aus der Veranstaltung ein BNE-Bildungsangebot: Warum Mülltrennung? Welche Auswirkung hat die eine oder die andere Art der Mülltrennung auf andere ökologische, ökonomische und soziale Aspekte? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Menschen in anderen Gegenden der Erde und für künftige Generationen? Welche unterschiedlichen Sichtweisen auf Mülltrennung gibt es? Was ist die eigene Sicht auf Mülltrennung? Welche Mülltrennung wollen wir? usw.
Bei näherer Betrachtung wird oft schnell deutlich, dass die Integration fehlender BNE-Aspekte mit relativ geringem Aufwand möglich ist. Oft ist es gar nicht notwendig, ein neues BNE-Bildungsangebot zu generieren. Meist ist es wesentlich einfacher und effizienter, ein bestehendes Bildungsangebot im Feld einer BNE hin zu einem BNE-Bildungsangebot zu erweitern.
Ob und wie die Umsetzung konkret erfolgen kann und ob dies in jedem Einzelfall überhaupt wünschenswert ist, ist eine offene Frage, die im Kontext nachhaltiger Entwicklung immer wieder neu gemeinsam beantwortet werden muss.
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Literatur
de Haan, Gerhard (2002): Die Kernthemen der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. In: ZEP : Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 25. Jg., Nr. 1, S. 13-20
Eulenberger, Jörg/ Rink, Dieter/ Schmidt, Marco / Schütze, Lea (2023): Um was geht es? Grundbegriffe kurz erklärt. In: Autorengruppe BNE-Kompetenzzentrum: Praxishandbuch. Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Kommune gestalten. MünchenHauff, Volker (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven
Künzli David, Christine/ Kaufmann-Hayoz, Ruth (2008): Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung – Konzeptionelle Grundlagen, didaktische Ausgestaltung und Umsetzung. In: Umweltpsychologie, 12. Jg., Nr. 2, S. 9-28
Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung. (2017). Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Berlin
Rieckmann, Marco (2021): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ziele, didaktische Prinzipien und Methoden. In: merz-Zeitschrift für Medienpädagogik, 65. Jg., Nr. 04, S. 10-17
UNESCO/DUK (2021). Bildung für nachhaltige Entwicklung. Eine Roadmap. Paris/Bonn: UNESCO/DUK.