öffentliches Gebäude

Was ist der Whole Institution Approach?

Warum ist er wichtig?

Der Whole Institution Approach (WIA) formuliert den Anspruch, Nachhaltigkeit als Entwicklungsziel auf allen Ebenen von Organisationen und Institutionen anzustreben und entsprechende Maßnahmen und Strukturen zu etablieren. Die Kurzformel des WIA "wir lernen, wie wir leben, und leben, was wir lernen" (UNESCO/DUK 2021, S. 3) verweist auf die zentrale Bedeutung des Ansatzes im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Doch worauf zielt der Whole Institution Approach genau ab und warum ist er nicht nur ein Handlungsfeld für Bildungseinrichtungen, sondern grundsätzlich für alle Organisationen im kommunalen Raum relevant? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, ist es zunächst notwendig zu verstehen, dass Bildung und Lernen nicht auf formale Bildung beschränkt werden kann, sondern dass es andere Formen des Lernens und der Bildung gibt, die genauso wichtig sind wie der klassische Unterricht.

Verhältnis von BNE und Whole Institution Approach

Mit Unterricht sind solche Situationen gemeint, in denen planvoll eine Erweiterung von Wissen und Kompetenzen von Menschen angestrebt wird (vgl. Terhart 2002). Unterricht, findet an vielen Stellen in der Lebenswelt von Menschen statt. Sei es in der Schule, in der Volkshochschule, in Weiterbildungs- und Nachhilfekursen, in Musikschulen usw. Im Unterricht finden aber nicht nur intendierte Lern- und Bildungsprozesse (formale, non-formale), sondern auch informelle Lernaktivitäten statt. Informelles Lernen bezieht sich hierbei auf Lernen, welches nicht explizit pädagogisch vorstrukturiert ist und meist von den Lernenden selbst gar nicht als Wissens- und Kompetenzzuwachs wahrgenommen wird (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020, S. VII/VIII).

Übersicht Lern- und Bildungsformen (Holzbaur 2020, S. 346):

Lernformen 
Formales Lernen/ 
Formale Bildung
Formalisiertes Lernen findet in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen nach gegebenen (Aus-) Bildungsplänen statt und führt zu formalen Qualifikationen und formalen Bildungsabschlüssen.
Nichtformales Lernen/ Nichtformale BildungNichtformales Lernen findet außerhalb des formalen Systems statt, ist aber vom Lernenden und Lehrenden als Bildungsprozess geplant. Unter Umständen werden Zertifikate vergeben.
Informelles Lernen/ 
Informelle Bildung
Informelles Lernen findet als Begleiterscheinung von Aktivitäten des täglichen Lebens statt. Der Lernprozess bzw. Bildungsprozess muss dem Lernenden nicht bewusst sein, kann aber auch beabsichtigt sein.

Ein Beispiel für informelles Lernen ist das Lernen außerhalb des konkreten Unterrichtsinhalts während oder nach dem Unterricht im Austausch mit anderen Teilnehmer:innen oder den Lehrkräften. Hinzu kommt, dass die Bildungseinrichtung, in deren Rahmen der Unterricht stattfindet, selbst einen Lern- und Erfahrungsraum darstellt. Genau dieser Punkt wird mit dem Whole Institution Approach adressiert, wenn es heißt: „Lernorte entfalten ihre volle Innovationskraft dann, wenn sie ganzheitlich arbeiten, wenn also eine Schule, ein Verein, ein Unternehmen oder die kommunale Verwaltung Lernprozesse und Methoden sowie die Bewirtschaftung auch an Prinzipien der Nachhaltigkeit orientiert“ (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017, S. 100).

Hier werden zwei wichtige Aspekte des WIA deutlich. Der erste Aspekt betrifft die Möglichkeit des informellen Lernens bzw. der informellen Bildung für nachhaltige Entwicklung auch außerhalb des Unterrichts. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die jeweilige Organisation bzw. Institution selbst an den Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung ausrichtet. Der zweite Aspekt thematisiert die Problematik, inwiefern die Vermittlung von Inhalten hinsichtlich der Nachhaltigkeit überzeugend sein kann, wenn die Organisation bzw. die Institution, in deren Rahmen der Unterricht stattfindet, selbst nicht nachhaltig handelt.

Lernorte sind somit aufgerufen, nicht nur BNE als Unterrichtsthema in das jeweilige Curriculum zu integrieren, sondern auch die gesamte Organisation bzw. Institution an den Prinzipien der Nachhaltigkeit auszurichten (Whole Institution Approach). Das betrifft die Beschaffung und effektive Energie- und Ressourcennutzung genauso wie auch Partizipationskultur, faire Arbeitsverhältnisse, Diversität sowie vieles mehr. Eine gute Übersicht, erstellt von der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt-Landesnetzwerke e.V., welche Aspekte hierbei angesprochen werden, lässt sich in der folgenden Tabelle finden.

Handlungsfelder der Organisationsentwicklung im Rahmen des Whole Institution Approachs - Detailliert (Quelle: Lerche/ Buckbesch/ Niebling 2020):

Bereich einer 
Institution 
AnlassNachhaltige Lösung
Beschaffung Büromaterial
IT-Technik
Mobiliar

Catering:
Veranstaltungen,
Sitzungen & Büroverpflegung
Reduktion des Materialverbrauchs
Wiederverwendung von Material,
Bestellungen bei nachhaltigen und sozialverantwortlichen Anbietern fair, regional, saisonal, ökologisch
food sharing/“Gerettetes Essen“
Unterstützung von sozialen Projekten
Abfall Reduse – Reduktion
Reuse – Wiederverwendung
Recycle – Recycling
Vergabe von AufträgenLektorat
Grafik
Druckprodukte
Tagungsstätte 
Gebäude
Unterstützung von Anbieter*innen, die ihre Arbeit an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten
Reduktion der Druckexemplare
Zertifiziertes Papier, Umweltfarben etc. 
Garten- und Grünflächennutzung
FinanzenGeschäftskonten
Spenden
Nachhaltige, gemeinwohlorientierte Banken
Unterstützung nachhaltiger Projekte/Organisationen
GebäudeBüroräume
Veranstaltungsorte
Heizung und Strom
Inneneinrichtung
Wasser und Abwasser Gärten und Grünflächen
Flächennutzung
Barrierefreiheit
Ökologische Bauweise und Sanierung
Reduktion des Verbrauchs von Ressourcen
Nutzung regenerativer Energien
Gemeinschaftliche Nutzung von Räumen
Radabstellflächen
Barrierefreier Zugang zum Gebäude und/oder proaktives Unterstützungsangebot für Menschen mit Behinderung
PersonalAuswahl
Weiterbildung
Position und Vergütung etc.
Diversitätsorientierte Stellenausschreibung
Familienfreundlichkeit
Weiterbildungsangebote mit Fokus auf nachhaltige Entwicklung
Partizipation in Entscheidungsprozessen
MobilitätArbeitswege
Dienstfahrten
Transport
Nutzung von (Dienst-)Fahrrädern
ÖPNV
Lastenfahrräder für Transport
Vermeidung von Flügen (< 1.000 km)
Effektivität bei Flugreisen (z.B. Kombination von Süd-Partner*innenbesuchen zur Vermeidung mehrerer Einzelflüge)
Kompensation von „unvermeidbaren“ Flugreisen
OrganisationskulturZusammenarbeit im Team und im Netzwerk
Kooperationen
(internationale) Partnerschaften
Verständigung über Werte
gemeinsame Werte schaffen
Partizipativ
ressourcenorientiert und wertschätzend
bedürfnisorientiert, achtsam
gemeinsame Umsetzung
Süd-Nord-(Bildungs-)Partnerschaften
Interdisziplinarität
Machtkritische, diskriminierungssensible Ansätze
EntscheidungsstrukturAkzeptanz für Entscheidungen schaffenTransparenz
Entscheidungen nachvollziehbar machen
Mitarbeiter*innen in den Entscheidungsprozess einbeziehen/Partizipation
(Basis-)Demokratische Entscheidungsfindung
BildungsangeboteInhalte
Methodik/Didaktik
Projekte
Programme
Nachhaltigkeitsthemen
Transformative Bildung
Ganzheitliche Methoden (Herz, Kopf, Hand)
Diskriminierungs-/Rassismus-sensible Methoden
Süd-Nord-Bildungspartnerschaften
Inklusive Methoden
Partizipation
Interaktion
KommunikationWebsite
Druckprodukte
Social Media
Face to face
Nachhaltigkeit zum Inhalt machen
Diskriminierungssensible Bildauswahl und 
-gestaltung 
Diskriminierungssensible Sprache
Mehrsprachigkeit
leichte Sprache
konsequentes Gendern
Wer spricht? Für wen?
Wer hat welchen Redebeitrag?

Insbesondere Bildungseinrichtungen sollten BNE-Bildungsangebote und die Transformation der Einrichtung in Richtung Nachhaltigkeit nicht als getrennte Handlungsfelder begreifen. Vielmehr sollten beide Aspekte miteinander verzahnt werden. Nachhaltigkeitsmaßnahmen können als Ausgangspunkt für Lern- und Bildungsprozesse genutzt werden und Bildungsprozesse können Ausgangspunkt für Nachhaltigkeitsmaßnahmen werden. 

Auch wenn so zunächst den Eindruck erweckt wird, dass der Whole Institution Approach sich vor allem auf Organisationen und Institutionen der formalen und non-formalen Bildung bezieht, ist dies nicht der Fall. Bildung für nachhaltige Entwicklung fokussiert zum einen auf alle Menschen und zum anderen neben formaler und non-formaler Bildung auch auf informelle Bildung. Letztere findet potenziell überall statt. Auch erwachsene Menschen lernen in der Interaktion mit anderen Menschen. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass grundsätzlich alle Organisationen und Institutionen im kommunalen und gesamtgesellschaftlichen Kontext als Bildungsorte zu begreifen und damit an den Prinzipien der Nachhaltigkeit auszurichten sind. An dieser Stelle überschneidet sich das Anliegen des Whole Institution Approach mit dem Anliegen einer nachhaltigen Entwicklung insgesamt (vgl. Was ist nachhaltige Entwicklung? Warum ist sie wichtig?). Und unabhängig davon: Wie glaubwürdig kann eine Kommunalverwaltung den Whole Institution Approach von konkreten Organisationen mit Bildungsangeboten einfordern, wenn sie selbst nicht nach diesen Prinzipien arbeitet?


Literatur

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020): Bildung in Deutschland 2020: Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Bielefeld

Eulenberger, Jörg/ Rink, Dieter/ Schmidt, Marco / Schütze, Lea (2023): Um was geht es? Grundbegriffe kurz erklärt. In: Autorengruppe BNE-Kompetenzzentrum: Praxishandbuch. Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Kommune gestalten. München

Holzbaur, Ulrich (2020): Nachhaltige Entwicklung. Der Weg in eine lebenswerte Zukunft. Wiesbaden

Lerche, Ulrike/ Buckbesch, Mirja / Niebling, Lina (2020): Leben, was wir lehren – mit dem Whole Institution Approach Bildungseinrichtungen nachhaltiger gestalten. https://agl-einewelt.de/whole-institution-approach/

Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (2017): Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Berlin

Terhart, Ewald (2002): Unterricht. In: Lenzen, Dieter (Hrsg.): Erziehungswissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbek b.H., S. 133-158

UNESCO/DUK (2021): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Eine Roadmap. Paris/Bonn

| Dr. Jörg Eulenberger