Das Verhältnis von Bildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltiger Entwicklung ist komplex. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist Voraussetzung für und Bestandteil von nachhaltiger Entwicklung (NE). Ebenso ist BNE nicht gleich Bildung und nachhaltige Bildung ist nicht automatisch BNE.
Im Folgenden wird dargelegt, wie diese Zusammenhänge zu verstehen sind. Die Befassung mit dem Thema ist aus unserer Sicht von Bedeutung, da sie dazu beiträgt, in Diskussionen und Abstimmungsprozessen einen gemeinsamen Fokus zu bewahren.
Die Agenda 2030 und das Nachhaltigkeitsziel 4
Die Begriffe nachhaltige Entwicklung (NE) und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) sind eng miteinander verknüpft. Im September 2015 verabschiedeten die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen einstimmig die Agenda 2030. Sie enthält 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs), die bis 2030 erreicht werden sollen, um den Übergang von der derzeit nicht-nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung in eine nachhaltige Entwicklung gestalten zu können (vgl. Vereinte Nationen 2015). Im Punkt 4.7 der Agenda 2030 heißt es, man wolle „bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung […]“ (Vereinte Nationen 2015, S. 18).
Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Bildungssysteme zu integrieren, ist somit selbst ein Teilaspekt von nachhaltiger Entwicklung, welcher dem SDG 4 – Hochwertige Bildung untergeordnet ist. Neben der Forderung nach BNE für alle Lernenden wird im SDG 4 der gleichberechtigte Zugang zur Bildung der Geschlechter auf allen Bildungsstufen, die Schaffung von kinder-, behinderten- und geschlechtergerechten Bildungseinrichtungen sowie die Erhöhung der Zahl von Jugendlichen und Erwachsenen, die über die entsprechenden Qualifikationen für eine menschenwürdige Beschäftigung verfügen, genannt (vgl. SDG 4.1-4.6 Vereinte Nationen 2015). Diese Platzierung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in den SDGs führt ebenfalls nicht selten zu der Auffassung, dass die Verbesserung von Bildung bzw. Bildungsinstitutionen und -beteiligungen bereits BNE wäre. Eine solche Vorstellung geht aber am Kern von Bildung für nachhaltige Entwicklung vorbei. Um dies zu verdeutlichen, gilt es die Verhältnisse von nachhaltiger Entwicklung und Bildung kurz dazustellen.
Bildung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung
Christine Künzli David postuliert ohne Anspruch auf Vollständigkeit fünf unterschiedliche Momente von Bildung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung (vgl. Künzli David 2007, S. 28/29).
- Als erstes ist Bildung ein konkretes Ziel von nachhaltiger Entwicklung in Bezug auf die Verwirklichung des Anspruchs eines Rechts auf Bildung für alle weltweit.
- Als zweites kann Bildung als konkrete Maßnahme zur Realisierung bestimmter Ziele einer nachhaltigen Entwicklung gefasst werden, z.B. als Maßnahme zur Sicherung von Beschäftigung und Einkommen.
- Als drittes gilt es, den gesellschaftlichen Bereich von Bildung mit seinen Strukturen und Institutionen ebenso wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche (z.B. Wirtschaft, Politik usw.) im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu transformieren (z.B. durch die Etablierung einer nachhaltigen Bewirtschaftung und Personalpolitik).
- Viertens wird in Bildung eine zentrale Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung gesehen im Sinne der Vermittlung von Kulturtechniken wie zum Beispiel Lesen und Schreiben. Diese werden als notwendig erachtet, dafür „dass die Menschen an Entscheidungsprozessen im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung partizipieren können“ (Künzli David 2007, S. 29).
- Darüber hinaus soll fünftens Bildung spezifische Kompetenzen (vgl. Was ist BNE und warum ist sie wichtig?) für eine nachhaltige Entwicklung vermitteln. Hier wird eine spezifische Form von Bildung adressiert, die die Menschen befähigen soll, den gesellschaftlichen Übergang in den Prozess der nachhaltigen Entwicklung aktiv und konstruktiv mitzugestalten.
Während sich die ersten vier Verhältnisse auf Bildung allgemein beziehen, kann nur bei letzterem von Bildung für nachhaltige Entwicklung im eigentlichen Sinn gesprochen werden. Zwar spielt auch im dritten Verhältnis, dass der Bildungssektor im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung transformiert werden soll, Bildung für nachhaltige Entwicklung eine Rolle: Stichwort Whole Institution Approach. Die argumentative Legitimation des Whole Institution Approachs erfolgt jedoch nicht aus der nachhaltigen Entwicklung, sondern direkt aus einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (vgl. Was ist der Whole Institution Approach ?).
Im Nationalen Aktionsplan (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2020, S. 4) heißt es:
„Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) steht für eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. Dabei ist eine Entwicklung dann nachhaltig, wenn Menschen weltweit, heute und in Zukunft, würdig leben und ihre Bedürfnisse unter Berücksichtigung der planetaren Grenzen entfalten können. Um den eigenen Alltag, die Lebenswelt und die Gesellschaft nachhaltiger gestalten zu können, fördert BNE systemisches und vorausschauendes Denken, interdisziplinäres Wissen, die Fähigkeit zu gemeinschaftlichem Handeln sowie die Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. BNE begreift Lehren und Lernen als einen interaktiven, forschenden, kreativen und aktionsorientierten Prozess, der Lernende aller Altersgruppen befähigt, sich selbst und die Gesellschaft zu verändern“
(Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2020, S. 4).
An diesem Punkt wird das Verhältnis von BNE und NE deutlich. BNE soll die Voraussetzungen schaffen, damit NE gelingen kann, in dem sie die Menschen dazu befähigen soll, nachhaltige Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln zu können (vgl. auch UNESCO 2014; UNESCO 2020). Dafür sind spezifische, didaktische und methodische Momente notwendig. Insofern wäre BNE einer NE vorgelagert. Nachhaltige Entwicklung ist aber selbst kein Zustand, sondern ein Prozess, wie es das Wort Entwicklung nahelegt. Selbst wenn der gesellschaftliche Übergang in einen Modus der nachhaltigen Entwicklung einmal gelungen sein sollte, bedarf es trotzdem immer wieder Menschen, die vor dem Hintergrund ihrer aktuellen Situation die gesellschaftliche Entwicklung nachhaltig gestalten können. Führt man sich diesen Umstand vor Augen wird deutlich, dass BNE selbst Bestandteil einer nachhaltigen Entwicklung sein muss.
Das Verhältnis von BNE zu NE
BNE stellt somit eine Voraussetzung für und einen Bestandteil von NE dar, ist jedoch nicht mit den weiteren (bildungs-)politischen Zielen im Rahmen von NE gleichzusetzen. Im Kern geht es bei BNE um die Befähigung von Menschen zu nachhaltigem Handeln. Nicht jede Maßnahme im Bereich der nachhaltigen Entwicklung erfüllt diesen Anspruch. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese dadurch weniger relevant ist. Sie ist dann lediglich keine BNE.
Die Einrichtung eines mit erneuerbaren Energien betriebenen öffentlichen Nahverkehrs stellt per se noch keine BNE dar, sondern NE. Erst wenn diese Maßnahme durch Aspekte ergänzt wird, die es den Menschen zum einen ermöglichen, zu verstehen, warum dieses Projekt nachhaltig ist, welche lokalen und globalen Verbindungen bestehen und die zum anderen Partizipationsmöglichkeiten für Menschen bei der Umsetzung des Projekts eröffnen, kann es zu BNE werden (vgl. Was charakterisiert ein BNE-Bildungsangebot?).
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Literatur
Eulenberger, Jörg/ Rink, Dieter/ Schmidt, Marco / Schütze, Lea (2023): Um was geht es? Grundbegriffe kurz erklärt. In: Autorengruppe BNE-Kompetenzzentrum: Praxishandbuch. Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Kommune gestalten. München
Künzli David, Christine (2007): Zukunft mitgestalten: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung-Didaktisches Konzept und Umsetzung in der Grundschule. Bern/Stuttgart/Wien
Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (2020): Zwischenbilanz zum Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Berlin
UNESCO (2014): Roadmap zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Deutsche Übersetzung. Bonn, Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (DUK)
UNESCO (2020): Education for sustainable development: a roadmap
Vereinte Nationen (2015): Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung