Bildung für nachhaltige Entwicklung

Nachhaltigkeit als Leitbild

Grundbegriffe kurz erklärt:
Nachhaltigkeit ist heute in aller Munde. Wo kommt der Begriff her und wie hat er sich seit den 1980er Jahren als politisches Leitbild entwickelt?

Vom forstwirtschaftlichen Grundsatz zum Leitbild für Gesellschaftsentwicklung in den 1980er Jahren

Nachhaltigkeit hat seinen historischen Hintergrund in der Forstwirtschaft. Der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz formulierte Anfang des 18. Jahrhunderts den Grundsatz, dass nur so viel Wald geschlagen werden solle, wie wieder nachwächst. Nach einer langen Entwicklung und allmählichen Ausbreitung in den Wissenschaften und im Wirtschaftsbetrieb avancierte Nachhaltigkeit in den 1980er Jahren zu einem übergreifenden Leitbild für die Gesellschaftsentwicklung (Grober 2013). Nachhaltigkeit (Sustainability) wurde 1987 von der Weltkommission der Vereinten Nationen „Umwelt und Entwicklung“ in dem Bericht „Unsere Gemeinsame Zukunft“ als Leitbild für die internationale Entwicklung formuliert. Danach ist eine Entwicklung dann nachhaltig, “wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können” (Hauff 1987, S. 46).

Globale und intergenerative Gerechtigkeit

Nachhaltigkeit hat mit traditionellem Umweltschutz, im Sinne der Reduktion von Belastungen, wenig gemein. Nachhaltigkeit steht vielmehr für den Versuch, ein Konzept zu entwickeln, wie die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft geschützt, die sozialen Bedürfnisse dauerhaft befriedigt und die wirtschaftlichen Ressourcen dauerhaft erhalten werden können. Ihre normative Grundlage bildet die Forderung nach intergenerativer und global intragenerativer Gerechtigkeit.

Nachhaltigkeit als politisches Leitbild seit den 1990er Jahren

Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung von Rio de Janeiro im Jahr 1992 bekannten sich über 170 Staaten zur Nachhaltigkeit und verpflichteten sich zu ihrer Umsetzung. Nachhaltigkeit ist seit dieser UN-Konferenz ein zentrales politisches Leitbild, das im Prinzip für alle politischen Ebenen und Handlungsbereiche normative Geltungskraft beansprucht. Durch die mit seiner Verabschiedung in Rio verbundene direkte Aufforderung an die Kommunen, sich mit ihren Bürger:innen über Wege nachhaltiger Entwicklung zu beraten, wurde es auch ein Leitbild für die Stadtentwicklung.

In die deutsche Sprache wurde der Begriff „sustainable development“ zunächst als „dauerhafte Entwicklung“ (Hauff 1987) übersetzt, in den 1990er Jahren fanden auch „dauerhafte“, „dauerhaft-umweltgerechte“ sowie „zukunftsfähige Entwicklung“ Verwendung. Mittlerweile wird überwiegend von Nachhaltigkeit bzw. nachhaltiger Entwicklung gesprochen, die genannten Begriffe werden mitunter auch synonym gebraucht.

Nachhaltigkeit wurde in den 1990er und 2000er Jahren meist mit sogenannten 3- oder 4-Säulen- bzw. Dimensionen-Modellen oder „Nachhaltigkeitsdreiecken“ konzeptualisiert, also einer ökologischen, ökonomischen und sozialen (plus einer kulturellen und/oder politischen Säule). Für jede Säule bzw. Dimension wurden dann Ziele formuliert und Indikatoren zur Messung benannt, vom Anspruch des Leitbilds her, sollen die Dimensionen miteinander integriert werden. Die Modelle gehen insofern von einem integrativen Verständnis aus, als dass die drei bzw. vier Dimensionen als gleichrangig und in Beziehung zueinander verstanden werden. Häufig wurde bzw. wird der ökologischen Dimension der Vorrang eingeräumt, weil natürliche Ressourcen und Leistungen nicht vollständig durch andere ersetzt werden können.

In Wissenschaft und Öffentlichkeit wird die Frage, ob und inwieweit nachhaltige Entwicklung durch Reduzierung des Ressourcenverbrauchs (Effizienz), durch veränderte Konsum- und Lebensstile (Suffizienz) oder durch an Ökosysteme angepasste Prozesse (Konsistenz) erreicht werden kann bzw. soll, kontrovers diskutiert. So wird etwa infrage gestellt, ob eine Konsistenzstrategie, also die Anpassung von Prozessen an unser Ökosystem, allein ausreichend sei, umgekehrt werden die Wirkungen einer Suffizienzstrategie, das heißt der Änderung unserer Konsum- und Lebensstile, bezweifelt.

Das Leitbild der Nachhaltigkeit in Deutschland

Entsprechend der internationalen Vereinbarungen wurden in Deutschland Nachhaltigkeitskonzepte bzw. –pläne auf den unterschiedlichen politischen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) entwickelt und umgesetzt. Außerdem fand das Leitbild der Nachhaltigkeit Eingang in wichtige Gesetze (z.B. das Raumordnungsgesetz oder das Baugesetzbuch). Mehr als zwanzig Jahre nach der Rio-Konferenz haben die Vereinten Nationen im Jahr 2015 die Agenda 2030 und die Sustainable Development Goals (SDGs) beschlossen. Damit haben sie eine Aktualisierung und Konkretisierung von nachhaltiger Entwicklung vorgelegt (https://sdgs.un.org/goals). Zahlreiche deutsche Kommunen haben sich danach mit der Musterresolution „2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung: Nachhaltigkeit auf kommunaler Ebene gestalten“ erneut zum Leitbild bekannt.

Nachhaltigkeit bietet mittlerweile über alle politischen Lager und Gruppierungen hinweg eine weithin anerkannte Orientierung für das politische Handeln. Mit ihr haben sich vielfältige, zum Teil aber auch gegensätzliche Interessen, Normen und Ziele verbunden. Das hat zu einem inflationären Gebrauch des Begriffs geführt und zu einer gewissen Beliebigkeit des mit ihm Bezeichneten. Aufgrund ihrer übergreifenden normativen Geltungskraft, ihrer hohen politischen Legitimation und starken juristischen Verankerung ist Nachhaltigkeit derzeit jedoch durch kein anderes Leitbild zu ersetzen.

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Prof. Dieter Rink

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Literatur

Grober, U. (2013): Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs, München.

Hauff, V. (Hg.) (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Greven.

Hofmeister, S. (2018): Nachhaltigkeit, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.): Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung, Hannover, S. 1587-1602.

Rink, D. (2018): Nachhaltige Stadt, in: Rink, D., Haase, A. (Hg.) (2018): Handbuch Stadtkonzepte. Analysen, Diagnosen, Kritiken und Visionen, Opladen, Toronto, S. 237-257.

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