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Was ist der Whole Institution Approach und warum ist er wichtig?

Grundbegriffe kurz erklärt:
In der letzten Konsequenz müssen alle Organisationen und Institutionen im kommunalen Kontext und in der Gesellschaft insgesamt an den Prinzipien der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Was hat das mit BNE zu tun?

Mit dem Whole Institution Approach wird der Anspruch formuliert, Nachhaltigkeit als Entwicklungsziel auf Ebenen von Organisationen und Institutionen anzustreben und dafür entsprechende Maßnahmen und Strukturen zu etablieren. 
Um zu verstehen, worauf der Whole Institution Approach abzielt und warum er wichtig ist, ist es zunächst notwendig zu verstehen, dass Bildung und Lernen sich nicht auf Unterricht beschränken lässt (vgl. „Was ist eine (BNE-)Bildungslandschaft?“).  Mit Unterricht sind solche Situationen gemeint, in denen planvoll eine Erweiterung von Wissen und Kompetenzen von Menschen angestrebt wird (vgl. Terhart 2002). Unterricht, findet an vielen Stellen in der Lebenswelt von Menschen statt. Sei es in der Schule, in der Volkshochschule, in Weiterbildungs- und Nachhilfekursen, in Musikschulen usw. Im Unterricht finden aber nicht nur intendierte Lern- und Bildungsprozesse (formale, non-formale), sondern auch informelle Lernaktivitäten statt. Informelles Lernen bezieht sich hierbei auf Lernen, welches nicht explizit pädagogisch vorstrukturiert ist und meist von den Lernenden selbst gar nicht als Wissens- und Kompetenzzuwachs wahrgenommen wird (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020, S. VII/VIII).
Zum Beispiel kann informelles Lernen jenseits des konkreten Unterrichtsinhalts während oder nach dem Unterricht im Austausch mit anderen Teilnehmer:innen oder den Lehrkräften erfolgen.  Hinzu kommt, dass die Bildungseinrichtung, in deren Rahmen Unterricht stattfindet selbst einen Lern- und Erfahrungsraum darstellt. Genau dieser Punkt wird mit dem Whole Institution Approach adressiert, wenn es heißt: „Lernorte entfalten ihre volle Innovationskraft dann, wenn sie ganzheitlich arbeiten, wenn also eine Schule, ein Verein, ein Unternehmen oder die kommunale Verwaltung Lernprozesse und Methoden sowie die Bewirtschaftung auch an Prinzipien der Nachhaltigkeit orientiert“ (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017, S. 100).

Dabei geht es um zwei Aspekte. Der erste beschreibt, dass Nachhaltigkeit auch jenseits von Unterricht erleb- und erfahrbar und somit informelles Lernen bzw. informelle Bildung ermöglicht wird, wenn sich die jeweilige Organisation bzw. Institution an den Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung ausrichtet. Der zweite Aspekt resultiert aus der Überlegung, wie überzeugend Unterrichtsinhalte vermittelt werden können, wenn die Organisation bzw. die Institution, in deren Rahmen der Unterricht stattfindet, selbst nicht nachhaltig handelt.

Lernorte sind somit aufgerufen, nicht nur BNE als Unterrichtsthema in das jeweilige Curriculum zu integrieren, sondern auch die gesamte Organisation bzw. Institution an den Prinzipien der Nachhaltigkeit auszurichten (Whole Institution Approach). Das betrifft die Beschaffung und effektive Energie- und Ressourcennutzung genauso wie auch Partizipationskultur, faire Arbeitsverhältnisse, Diversität sowie vieles mehr. Eine gute Übersicht, erstellt von der Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt-Landesnetzwerke e.V., welche Aspekte hierbei angesprochen werden, lässt sich in der folgenden Tabelle finden.

Bereich einer Institution 

Anlass

Nachhaltige Lösung

Beschaffung 

Büromaterial
IT-Technik
Mobiliar

Catering:
Veranstaltungen,
Sitzungen & Büroverpflegung

Reduktion des Materialverbrauchs
Wiederverwendung von Material,
Bestellungen bei nachhaltigen und sozialverantwortlichen Anbietern fair, regional, saisonal, ökologisch
food sharing/“Gerettetes Essen“
Unterstützung von sozialen Projekten

Abfall

 

Reduse – Reduktion
Reuse – Wiederverwendung
Recycle – Recycling

Vergabe von Aufträgen

Lektorat
Grafik
Druckprodukte
Tagungsstätte 
Gebäude

Unterstützung von Anbieter*innen, die ihre Arbeit an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten
Reduktion der Druckexemplare
Zertifiziertes Papier, Umweltfarben etc. 
Garten- und Grünflächennutzung

Finanzen

Geschäftskonten
Spenden

Nachhaltige, gemeinwohlorientierte Banken
Unterstützung nachhaltiger Projekte/Organisationen

Gebäude

Büroräume
Veranstaltungsorte
Heizung und Strom
Inneneinrichtung
Wasser und Abwasser Gärten und Grünflächen
Flächennutzung
Barrierefreiheit

Ökologische Bauweise und Sanierung
Reduktion des Verbrauchs von Ressourcen
Nutzung regenerativer Energien
Gemeinschaftliche Nutzung von Räumen
Radabstellflächen
Barrierefreier Zugang zum Gebäude und/oder proaktives Unterstützungsangebot für Menschen mit Behinderung

Personal

Auswahl
Weiterbildung
Position und Vergütung etc.

Diversitätsorientierte Stellenausschreibung
Familienfreundlichkeit
Weiterbildungsangebote mit Fokus auf nachhaltige Entwicklung
Partizipation in Entscheidungsprozessen

Mobilität

Arbeitswege
Dienstfahrten
Transport

Nutzung von (Dienst-)Fahrrädern
ÖPNV
Lastenfahrräder für Transport
Vermeidung von Flügen (< 1.000 km)
Effektivität bei Flugreisen (z.B. Kombination von Süd-Partner*innenbesuchen zur Vermeidung mehrerer Einzelflüge)
Kompensation von „unvermeidbaren“ Flugreisen

Organisationskultur

Zusammenarbeit im Team und im Netzwerk
Kooperationen
(internationale) Partnerschaften
Verständigung über Werte
gemeinsame Werte schaffen

Partizipativ
ressourcenorientiert und wertschätzend
bedürfnisorientiert, achtsam
gemeinsame Umsetzung
Süd-Nord-(Bildungs-)Partnerschaften
Interdisziplinarität
Machtkritische, diskriminierungssensible Ansätze

Entscheidungsstruktur

Akzeptanz für Entscheidungen schaffen

Transparenz
Entscheidungen nachvollziehbar machen
Mitarbeiter*innen in den Entscheidungsprozess einbeziehen/Partizipation
(Basis-)Demokratische Entscheidungsfindung

Bildungsangebote

Inhalte
Methodik/Didaktik
Projekte
Programme

Nachhaltigkeitsthemen
Transformative Bildung
Ganzheitliche Methoden (Herz, Kopf, Hand)
Diskriminierungs-/Rassismus-sensible Methoden
Süd-Nord-Bildungspartnerschaften
Inklusive Methoden
Partizipation
Interaktion

Kommunikation

Website
Druckprodukte
Social Media
Face to face

Nachhaltigkeit zum Inhalt machen
Diskriminierungssensible Bildauswahl und -gestaltung Diskriminierungssensible Sprache
Mehrsprachigkeit
leichte Sprache
konsequentes Gendern
Wer spricht? Für wen?
Wer hat welchen Redebeitrag?

(Quelle: Lerche, Ulrike/ Buckbesch, Mirja / Niebling, Lina (2020): Leben, was wir lehren – mit dem Whole Institution Approach Bildungseinrichtungen nachhaltiger gestalten. https://agl-einewelt.de/whole-institution-approach/)

Auch wenn es zunächst den Eindruck erweckt, dass der Whole Institution Approach sich vor allem auf Organisationen und Institutionen der formalen und non-formalen Bildung bezieht, ist dies nicht der Fall. Bildung für nachhaltige Entwicklung fokussiert zum einen auf alle Menschen und zum anderen neben formaler und non-formaler Bildung auch auf informelle Bildung. Letztere findet potenziell überall statt. Auch erwachsene Menschen lernen in der Interaktion mit anderen Menschen. Und wie glaubwürdig kann eine kommunale Verwaltung den Whole Institution Approach von konkreten Organisationen mit Bildungsangeboten einfordern, wenn sie nicht selbst nach diesen Prinzipien operiert? In der letzten Konsequenz müssen alle Organisationen und Institutionen im kommunalen Kontext und in der Gesellschaft insgesamt an diesen Prinzipien ausgerichtet werden. An diesem Punkt überschneidet sich das Anliegen des Whole Institution Approachs mit dem Anliegen von nachhaltiger Entwicklung insgesamt (vgl. Nachhaltigkeit als Leitbild).

Autor

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Dr. Jörg Eulenberger

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Literatur

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020): Bildung in Deutschland 2020: Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Bielefeld

Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung (2017): Nationaler Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der deutsche Beitrag zum UNESCO-Weltaktionsprogramm. Berlin

Terhart, Ewald (2002): Unterricht. In: Lenzen, Dieter (Hrsg.): Erziehungswissenschaft. Ein Grundkurs. Reinbek b.H., S. 133-158

| Dr. Jörg Eulenberger
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